Engelsgesicht
sehen, wie deine erwachsene Tochter fast nackt aussieht? Betätigt sich der Herr Pfarrer als geiler Spanner?«
»Hör auf!«, fuhr er sie an. »Wie kannst du so etwas nur sagen? Ich mache mir Sorgen um dich. Verdammt große Sorgen sogar. Es ist einfach grauenvoll, das alles zu sehen. Bitte, ich bin gekommen, um...«
Sie ließ ihn nicht ausreden. »Geh, Vater, verschwinde endlich.« Silvia griff zur Decke und zog sie wieder über sich. Bestimmt nicht aus dem normalen Schamgefühl heraus. Ihr ging es mehr darum, die Wunden zu verbergen.
»Nein, ich bleibe!«
»Sehr schön. Und dann?«
»Ich will es wissen, Silvia. Ich will alles wissen. Ich will von dir erfahren, was du mit deinem Oberkörper gemacht hast. Verstanden? Nicht mehr und nicht weniger.«
Sie lachte ihn an. Der Klang dieses Lachens erschreckte ihn. Er hörte sich böse an. »Nichts willst du, Vater, gar nichts. Kümmere dich nicht um mich, sondern bleibe bei deinem eigenen Kram. Mehr kann ich dir nicht sagen, und das will ich auch nicht. Ich gehe meinen Weg. Bleib du in deiner verdammten Kirche.«
Vater und Tochter hatten sich schon oft gestritten. Lintock hatte auch immer Verständnis für seine Tochter gehabt, auch wenn harte Worte gefallen waren. Nie aber hatte sie die Kirche beleidigt. Dass dies nun passiert war, erschreckte ihn schon.
»Die Kirche ist die einzige Institution, die einem Menschen Kraft gibt, Silvia. Das habe ich dir oft genug gesagt. Daran solltest du dich auch halten oder hättest dich daran halten sollen, dann wäre das mit dir nicht passiert.«
Sie richtete sich auf. Dabei zog sie die Decke mit und presste sie gegen ihre Brust.«Ich will, dass du aus meinem Zimmer verschwindest, Vater. Es ist einzig und allein mein Weg, den ich gehe. Du hast damit nichts zu tun.«
Er dachte gar nicht daran, der Aufforderung Folge zu leisen und fragte nur: »Ach – dein Weg?«
»Ja!«
»Nein, es ist nicht nur deiner.«
Silvias Augen verengten sich. Die Bemerkung des Vaters hatte sie irritiert. »Wie kommst du darauf?«
»Es ist ganz einfach. Es gibt jemand, der ist anders und auch schlauer als du. Der weiß genau, dass dieser Weg, den du und die andere Person eingeschlagen habt, ins Verderben führt. Lass es dir gesagt sein. Kehre um. Noch ist es nicht zu spät!«
Daran dachte sie nicht und fragte mit leiser Stimme: »Wer soll denn die andere Person sein, die du mir als Vorbild genannt hast?«
»Deine Freundin Diana Crane.«
Sie lachte. Sie riss dabei weit den Mund auf. »Lächerlich, Vater, das ist einfach lächerlich...«
»Sie war bei mir. Es war kein Zufall. Sie hat mich bewusst besucht. Diana wusste sich keinen Rat mehr, was ich auch gut verstehen kann. Sie zeigte mir ihre Wunden, sie war völlig am Ende. Sie hat sich auf einen Weg begeben, den auch du gehst. Aber es gibt keine Rückkehr mehr, Kind. Wenn du den Weg weitergehst, dann wird er im Verderben enden.«
Silvia gefielen die Worte ihres Vaters nicht. »So kannst du in der Kirche labern, aber nicht mit mir. Da gibt es genügend Idioten, die dir zuhören. Ich habe mich für ein eigenes und auch besonderes Leben entschlossen. Das solltest du endlich einsehen.«
»Du bist noch immer meine Tochter!«
»Darauf pfeife ich!« Silvias Gesicht verzerrte sich vor Wut. Ein Beweis, wie ernst es ihr war.
Das wollte Cliff Lintock auf keinen Fall akzeptieren. »Ich lasse es nicht zu, dass irgendwelche Kräfte dein Leben zerstören. Hast du das begriffen?«
»Habe ich. Aber mein Leben wird nicht zerstört.« Sie schüttelte den Kopf. »Es wird nur in eine andere Richtung gelenkt, und zwar in eine bessere.«
»Indem du dir die Schnitte und Verletzungen beigebracht hast. Da kannst du mir nichts von einem neuen Leben erzählen, Silvia. Das ist unmöglich, verdammt!«
»Oh, der Herr Pfarrer flucht.«
»Ja, denn er ist auch nur ein Mensch.«
Silvia grinste scharf. »Als Mensch solltest du dich nicht um Dinge kümmern, die zu hoch für dich sind. Verdammt noch mal, wann wirst du das begreifen?«
Er ging nicht darauf ein und fragte: »Warum hast du dich verletzt? Was hast du deinem Körper damit angetan? Weshalb diese Schnittwunden?«
»Das ist einzig und allein meine Sache, Vater. Und auch die der anderen. Es gibt eben Dinge, von denen hast du keine Ahnung. Bleib in deiner Welt und lass mir die meine.«
»Das werde ich nicht.«
Silvia schwieg. Sie hatte wohl bemerkt, wie ernst es ihrem Vater mit seiner Aussage war. Deshalb schoss sie die nächste Frage ab, die sie sich bisher nicht
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