Engelsgesicht
» Sorry , aber ich wüsste nicht, was ich hier mit irgendwelchen Fremden zu bereden hätte.«
»Es ist nicht schlimm und...«
»Nein, verdammt!«
Sehr schnell war sie sauer geworden, und das geschah bestimmt nicht grundlos. Sie fasste auch wieder nach ihrem Rad und wollte den Ständer hochkicken, als Suko mit einer raschen Bewegung aufstand. Er ging nur zwei Schritte weiter, dann hatte er sie erreicht. Sehr dicht blieb er vor ihr stehen, und Susan Fenner rührte sich nicht mehr von der Stelle.
Ich sah, dass mein Freund seinen linken Arm etwas nach vorn geschoben und die linke Hand etwas angehoben hatte. Mit den Fingern umfasste er das Gelenk der Frau. Wahrscheinlich brauchte er keinen großen Druck auszuüben, der leichte reichte aus, um Susan still werden zu lassen.
Auch ich brauchte nur Sekunden, um sie zu erreichen. Aus der Nähe sah ich, dass in ihren Augen Angst flackerte. Ich wusste nicht, vor wem sie sich fürchtete, und ich sprach sie auch nicht an, sondern beobachtete sie sehr genau.
Mein Interesse galt ihrem Ausschnitt. Das T-Shirt schloss nicht direkt unter dem Hals ab. Es besaß einen Ausschnitt wie einen Halbmond, und die noch nicht sonnenbraune Haut war mit zahlreichen blassen Sommersprossen bedeckt.
Aber auch mit Schnitten!
Sofort standen wieder die Bilder der Toten vor meinem geistigen Auge. Auch die Haut dort hatte diese Schnitte gezeigt, nur waren sie hier noch frischer und deutlicher. Zudem recht lang, denn sie versteckten sich sogar unter dem Stoff. Zwei von ihnen liefen von verschiedenen Seiten schräg aufeinander zu.
Ich war wirklich keiner, der eine bestimmte Situation ausnutzt, einen Ausschnitt aufzieht, um in deren Tiefe nach der Brust einer Frau zu schauen. In diesem Fall war es notwendig. Susan wehrte sich weder verbal noch körperlich.
Ich sah nicht nur die beiden Schnitte. Da sie keinen BH trug, fielen mir auch die anderen auf, die über ihren Brüsten und auch gar darunter und seitlich davon entlang liefen.
Das reichte mir aus. Ich ließ den Stoff los, trat etwas zurück und schaute Susan ins Gesicht.
»Wer hat Ihnen die Schnitte zugefügt?«
»Der Kerl tut mir weh!«
»Wer war es?«
»Ich!«
»Warum?«
»Nein! Nein, nein, nein!« Sie schrie plötzlich los, und Suko hielt sie nicht mehr fest. Susan stolperte so hart und schnell nach hinten, dass sie sich nicht mehr fangen konnte. Zusammen mit ihrem Rad landete sie auf dem Boden. Ich nutzte die Überraschung, half ihr hoch und fragte dabei: »Wollen Sie nach Wingmore?«
»Ja.«
Susan erschreckte sich über die eigene Antwort. Da sie schon stand, schaffte sie es auch, sich sofort von mir zurückzuziehen. Sie schob das Rad vor, dann stieg sie in den Sattel und fuhr schnell davon.
Gitta stand da und schüttelte den Kopf. »Was ist das denn gewesen, Mr. Sinclair?«
»Nein«, sagte ich zu ihr, »vergessen Sie es. Wir müssen nur so rasch wie möglich los.« Ich griff nach meiner Geldbörse. »Was haben wir zu zahlen?«
»Nichts.«
»Warum nicht?«
»Ich hatte ja mit Shao eine E-Mail ausgetauscht. Sie wird das Frühstück übernehmen.«
»Nobel, nobel«, sagte ich und nickte Suko dabei zu. »Hast du es gewusst, Alter?«
»Nein, aber so ist sie nun mal.«
»Von dir hat sie das aber nicht – oder?«
Da schaute Suko mich an, als wollte er mir das Frühstück wieder aus dem Magen prügeln...
***
Für den Pfarrer Cliff Lintock war es hageldicht gekommen. Der Schlag hatte ihn in die Bewusstlosigkeit geschleudert. Da waren zunächst die Lichter für ihn ausgegangen.
Für wie lange, das wusste er nicht, denn zwischendurch war er wieder aus seinem Zustand erwacht. Viel besser ging es ihm da auch nicht. Er hatte Schmerzen im Kopf gespürt. Sie waren allerdings nie so ganz in sein Bewusstsein gedrungen. Für ihn hatten sie sich angefühlt wie in Watte eingepackt.
Auch Geräusche waren ihm aufgefallen. Fremd und zugleich bekannt. Da hatte er geglaubt, das Geräusch eines Motors zu hören. Aber er wurde nicht gefahren. Auch flüsternde Stimmen waren wie Wellen an seinem Kopf vorbeigerauscht, um irgendwo in der Ferne zu entschwinden.
Angst war in ihm hochgekrochen. Eine starke Beklemmung, die ebenfalls nicht mehr in sein Bewusstsein tief eindrang, weil er es wieder verloren hatte.
Als letzten Ton oder Laut hatte er noch die Stimme einer Frau wahrgenommen. Worte, die in einem Lachen geendet hatten. Verstanden aber hatte er davon nichts.
Lintock’s zweites Erwachen gestaltete sich intensiver und auch echter. Jetzt tauchte
Weitere Kostenlose Bücher