Engelsgesicht
ich überzeugt!«
Cliff Lintock hatte in seinem beruflichen Leben schon oft versucht, Menschen zu überzeugen und sie von einem Weg abzubringen, der einfach falsch war. Er sah auch ein, wenn Dinge aus dem Ruder gelaufen waren, und genau das war hier der Fall. Sie waren aus dem Ruder gelaufen. Er würde mit seiner Tochter nie mehr so reden können wie früher und wie es eigentlich normal gewesen wäre.
Etwas anderes hielt sie erfasst. Eine fremde und unheimliche Macht, die sich in sie eingeschlichen hatte. Oft genug hatte er vom Teufel gesprochen. Er glaubte nicht direkt an ihn. Er hatte das einfach nur übernommen, und er konnte sich auch nicht vorstellen, wie der Teufel aussah. Für ihn war er immer abstrakt gewesen, aber jetzt musste der Teufel oder auch sein Geist in Silvia gefahren sein, denn von ihr strahlte etwas Teuflisches aus.
»Neugierde muss bestraft werden, Vater. Du hättest nicht in mein Zimmer kommen dürfen. Manchmal muss auch eine Tochter die Geheimnisse für sich behalten.«
»Du tust dir nichts Gutes, Kind! Du bist auf dem falschen Weg. Lass es dir noch einmal gesagt sein.«
Die Worte gefielen Silvia nicht. Ihr Mund verzog sich, das Gesicht erhielt einen hasserfüllten Ausdruck. Sie hob den rechten Fuß an. Es sah so aus, als wollte sie ihren Vater treten. Das verkniff sie sich, denn hinter ihrem Rücken waren Stimmen aufgeklungen, die auch dem Pfarrer nicht entgangen waren.
Nur Frauenstimmen. Die Personen unterhielten sich. Sie sprachen halblaut, sie lachten mal, und Lintock konnte sich vorstellen, dass er alle kannte.
Silvia hatte sich umgedreht und winkte ihren Freundinnen zu. Darauf hatten sie nur gewartet. Sie kamen näher. Der nach oben schauende Pfarrer sah, dass seine Tochter nicht mehr allein war und jetzt von den anderen umringt wurde.
Es schauten keine fremden Gesichter zu ihm herab. Er kannte sie alle, obwohl sie nicht nur aus Wingmore stammten. Doris, Elena, Diana, die den Blick zur Seite gedreht hatte, als hätte sie ein schlechtes Gewissen, auch Susan aus dem Nachbarort sah er und Gwen, die Irin.
Sie alle waren Freundinnen. Sie alle bewegten sich altersmäßig in einem Spielraum von zwei bis drei Jahren, und er sah bei allen diesen gnadenlosen Glanz in den Augen, abgesehen vielleicht von Diana Crane, die noch immer nicht zu ihm hinschaute.
Seine eigene Tochter war die Anführerin. Sie breitete die Arme aus. »Ich habe euch nicht zu viel versprochen, meine Lieben. Hier liegt er. Hier genau liegt der Mann, der versucht hat, uns zu stoppen. Schaut ihn euch an. Es ist doch lächerlich. Eine Figur, die aber sehr wertvoll für uns werden kann.«
»Blut?«, fragte Susan.
»Genau.«
»Lisa wird es uns vergelten«, flüsterte Gwen. »Wir brauchen nicht mehr viel Blut. Wir haben ihr schon einiges gegeben. Jetzt ist er an der Reihe.«
»Aber es stammt nicht von uns«, warf Elena ein. »Nicht von jungen Frauen. Sie wird es merken.«
»Abwarten!«, erklärte Silvia. »Wenn wir mit seinem Blut bei ihr sind, werden wir sie fragen. Erst einmal muss es so weit sein. Habt ihr die Gefäße dabei?«
»Sie stehen im Gras.«
»Gut, dann fangen wir an!«
Wie das aussah, zeigte Silvia wenig später. Sie kniete sich auf den Boden vor die ausgestreckten Beine ihres Vaters. Dann griff sie in die Tasche der grünen Jacke und holte ein Messer hervor.
Es war kein normales Messer, sondern eine Rasierklinge. Mit diesem Messer konnten die feinen Schnitte durchgeführt werden, die sich auch in den Gesichtern der Mädchen abzeichneten, da sie sich selbst zur Ader gelassen hatten.
Lintock verkrampfte sich. Er hatte den Plänen der jungen Frauen zugehört und konnte nicht fassen, dass all dies in die Tat umgesetzt werden sollte. Es überstieg sein Begriffsvermögen. Diese jungen Frauen waren nichts anderes als Blutsammlerinnen. Das zu begreifen, war für ihn einfach unmöglich.
Über die Länge seines Körpers hinweg blickte er in die bewegungslosen Augen seiner Tochter. Nein, von ihr konnte er keine Gnade erwarten. Auf keinen Fall. Sie gehörte zu den Menschen, die sich einmal dazu entschlossen hatten, etwas durchzuziehen, wovon sie überzeugt waren. Auf Recht und Gesetz pfiffen sie.
Silvia hatte das Rasiermesser ausgeklappt. Ein Sonnenstrahl fing sich auf der Klinge, als sie bewegt wurde. Der Reflex huschte gegen das Gesicht des Pfarrers. Zugleich spürte er an seinen Füßen den Ruck, als Silvia ihm die Fesseln durchschnitt.
Er war frei. Zumindest an den Füßen. Er spürte auch, wie das Blut
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