Engelsgesicht
keinesfalls als normal betrachten konnte. Die Frauen hatten sich vor ihm aufgebaut und so etwas wie eine Mauer gebildet. Der nackte Oberkörper des Mannes irritierte mich. Im Augenblick konnte ich mir nicht vorstellen, was hier ablief. Da war Suko mit seinen Gedanken schon weiter.
»Es ist möglich, dass man ihn zur Ader lassen will!«, flüsterte er mir zu.
Der alte Begriff verdeutlichte nur, dass ihm Blut abgenommen werden sollte. Und es war auch eine junge Frau da, die vor ihn trat. Der kleine idyllische Fleck verlor seinen Reiz endgültig, als wir die Klinge des Messers in der Sonne blitzen sahen. Und das Messer befand sich nicht mehr weit von seiner Brust entfernt.
»Nur nicht so zimperlich. Denk lieber an dich, Diana. Das ist besser!«
Die Worte galten der Frau mit dem Messer. Sie verfehlten ihren Zweck nicht, denn jetzt setzte die Frau das Messer an die Brust des Mannes. Sie führte den Schnitt!
Genau das war für uns das Startsignal! Wir waren zur gleichen Zeit gestartet, aber nur ich rief etwas: »Seid ihr wahnsinnig geworden?«
Meine Stimme hallte hinein in diese kleine Mauer aus Menschen, in die sofort Bewegung kam. Damit hatten sie nicht gerechnet. Sie fuhren herum, und ich kümmerte mich nicht um sie, das war Suko’s Sache. Ich lief auf den Mann zu, der bereits einen Messerschnitt erhalten hatte. Er zeichnete sich auf seiner nackten Brust ab. Aus dem unteren Ende rann ein Blutstreifen hervor, der in Höhe des Bauchnabels im Hosenbund versickerte.
Die Frau mit dem Messer tat nichts. Unser plötzliches Eingreifen hatte sie völlig überrascht. Der Begriff ›wie vom Blitz getroffen‹ passte, denn sie bewegte sich um keinen Millimeter. Sie hatte sich nach meinem Ruf nur gedreht und sah, wie ich auf sie zulief. Der rechte Arm mit dem Messer war nach unten gesunken. Von der Klinge fielen letzte Blutstropfen ins Gras.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie richtig bei der Sache war. Ihr Gesicht sah so fremd und starr aus, und sie glotzte mich an, aber sie starrte trotzdem ins Leere.
Bevor sie ›erwachte‹ und das Messer wieder einsetzen konnte, war ich bei ihr und schnappte mit beiden Händen zu. Ihr rechtes Handgelenk wurde hart umklammert. Ich riss den Arm hoch, drehte ihn, hörte den Aufschrei und sah, wie das aufgeklappte Rasiermesser zu Boden fiel und im hohen Gras verschwand.
Ich ließ die Frau los, die einige kleine Schritte nach hinten wankte.
Suko hatte alles im Griff. Vielmehr seine Beretta, die er gezogen hatte. So konnte ich mich um den Verletzten kümmern.
»War es der erste Schnitt?«
»Ja, auf dem Rücken ist nichts.«
»Okay, einen Moment noch.« Ich bückte mich und hob das ausgeklappte Rasiermesser hoch. Damit löste ich die Handfesseln des Mannes, der auch einen Schlag gegen den Kopf abbekommen hatte, denn in der Kopfmitte waren die Haare an einer Stelle blutverklebt.
Er schwankte. Er sah aus, als würde sein Kreislauf jeden Augenblick zusammenbrechen, und ich sorgte dafür, dass er sich ins Gras setzte.
»Ihnen wird nichts mehr passieren, das schwöre ich!«
»Passen Sie auf, Mister. Diese Frauen sind gefährlich. Selbst meine eigene Tochter.«
Ich ging darauf nicht näher ein, denn die sechs anderen waren wichtiger. Sie alle hielten die verdammten ausgeklappten Rasiermesser in den Händen, abgesehen von einer Person. Deren Messer hatte ich behalten und es zusammengeklappt. Danach war es in meiner Tasche verschwunden.
Suko stand vor ihnen, sodass er jede der Frauen genau im Auge behalten konnte. Er sah alles andere als freundlich aus, aber die Frauen ließen sich auch nicht einschüchtern. Sie dachten nicht daran, die Messer fallen zu lassen.
»Ich denke, dass es Zeit ist für eine Erklärung, Ladies«, sagte ich bissig. »Was ich da gesehen habe, ist kein Spaß. Und wenn ich mir die Gefäße auf dem Boden anschaue, habe ich das Gefühl, dass Sie angetreten sind, um Blut zu sammeln. Ein verdammtes Spiel, würde ich mal sagen. Nicht normal.«
Sie schwiegen. Die Blicke sprachen Bände. Sie waren feindlich und böse. Wenn sie dazu in der Lage gewesen wären, sie hätten uns ebenfalls mit ihren Messern aufgeschnitten.
»Sie haben uns gar nichts zu sagen. Hauen Sie von hier ab. Verschwinden Sie!«
Eine junge Frau mit fahlblonden Haaren hatte gesprochen. Das Gesicht war gerötet. Sie trug eine hellblaue dünne Jacke über dem T-Shirt und schien auch so etwas wie eine Anführerin zu sein.
»Verschwinden?«, höhnte ich.
»Genau!«
»Nach dieser Folter?«
»Es ist
Weitere Kostenlose Bücher