Engelsgesicht
Frage hatte ihr die nächsten Worte von den Lippen gerissen. Ein Teil der Sicherheit verschwand. Der Blick flackerte jetzt, und die rechte Hand mit dem Messer zuckte. Bisher hatte sie sich in der Gewalt gehabt. Darauf konnte ich jetzt nicht mehr vertrauen. Ich ging auf Nummer sicher und umfasste ihr rechtes Gelenk mit einem schnellen Griff. Dann drückte ich den Arm zurück.
»Was ist mit dem Engelsgesicht?«, fragte ich sie. »Schönheit? Jugend für immer? Oder ähnlich? Ihr seid jung. Ihr habt es nicht nötig. Aber wohl eine andere Person, die euch in ihren Bann gezogen hat mit ihren obskuren Ansichten und Ideen.«
Mit ihrer Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Plötzlich spie sie mir ins Gesicht. Der Speichel traf mich an der Stirn. Eine Wutwelle zuckte in mir hoch. Ich rammte die Frau zurück, sodass sie auf den Rücken fiel und erst mal im Gras liegen blieb.
»Es gibt einige Dinge, die ich hasse. Dazu gehört das Anspucken eines Menschen. Trotzdem, es wäre fatal, wenn ihr den Weg weitergeht.« Ich schaute die Frauen der Reihe nach an, die starr wie Statuen auf dem Fleck standen.
In ihren Augen suchte ich nach einer Zustimmung, doch auch da lag ich falsch. Sie blickten ins Leere, und zwei von ihnen drehten den Kopf zur Seite, als hätten sie ein schlechtes Gewissen. Dazu gehörte auch Susan Fenner.
Silvia stand wieder auf. Jetzt strahlte sie vor Hass. »Das hast du nicht umsonst getan!« Sie beherrschte sich nicht mehr und fuchtelte mit dem Messer. »Wir treffen uns wieder, Arschloch! Das schwöre ich dir! Dann –«, sie holte saugend Luft, »dann werde ich dir deine verdammte Kehle durchschneiden.«
»Versuch es.«
Sie schaute zu, wie ich mir mit einem Taschentuch den Speichel von der Stirn wischte. Dabei grinste sie mich an. Es hatte ihr Spaß gemacht, mich anzuspucken.
»Ja, Silvia, Sie haben Recht. Man trifft sich im Leben immer zweimal wieder.«
Die Frau schwieg. Sie schaute mich an. Sie dachte über meine Worte nach, aber sie gab mir keine Antwort. Mit einer scharfen Bewegung drehte sie sich um und wandte sich an ihre Freundinnen. »Wir gehen!«, rief sie. »Hier stinkt es nach Fäkalien!«
Auch wenn sie uns damit gemeint hatte, mich konnte es nicht jucken. Irgendwie musste eine Person wie sie ja ihren Frust loswerden. Mit wütenden Schritten stampfte sie zur Seite, und die anderen fünf Frauen folgten ihr gehorsam.
Den Schluss machte eine Person mit blau gefärbten Haaren. Es sah aus, als wollte sie etwas sagen. Sie verkniff sich die Worte, presste die Lippen zusammen und folgte den anderen...
***
Der verletzte Mann saß noch immer an der gleichen Stelle. In der rechten Hand hielt er sein Taschentuch. Im Stoff malte sich das Blut ab. Die Blutung selbst hatte er stoppen können. Oder fast. Nur noch kleine Perlen quollen an den Seitenrändern hervor.
»Danke«, sagte er. »Ich danke Ihnen.«
»Hätte man Sie getötet?«, fragte Suko.
»Ich weiß es nicht.«
»Aber man wollte Ihr Blut?«
»Ja, das war so vorgesehen.«
»Können Sie uns denn aufklären, um was es hier eigentlich geht, Mister?«
Er wartete noch mit der Antwort. »Müsste ich das denn?«, fragte er dann leise.
»Es wäre besser.«
Er senkte den Blick und starrte das Blut auf seinem Taschentuch an. »Ich weiß es nicht. Ach ja, ich heiße Cliff Lintock. Meine Tochter haben Sie ja erlebt. Außerdem bin ich der Pfarrer hier in Wingmore. Aber ich weiß nicht, ob ich es noch lange bleiben werde. Ich glaube nicht. Ich werde wohl um meine Versetzung bitten.«
Ich nickte ihm zu. »Das kann ich verstehen.« Danach gab ich unsere Namen bekannt.
Der Pfarrer hörte zu und fragte: »Aus dieser Gegend stammen Sie aber nicht?«
»Nein, wir kommen aus London.«
»Was führt Sie her? So wie Sie auftraten, kann es kein Zufall gewesen sein.«
»Da haben Sie Recht.«
»Presse?«
Ich lachte leise. »Nein, dann hätten wir uns wohl anders verhalten. Gefällt Ihnen Scotland Yard besser?«
Er zuckte kaum zusammen und schien nicht weiter überrascht zu sein. »Polizei? Ja, das hatte ich mir schon gedacht. Wirklich, keine Lüge. So wie Sie sich benommen haben.«
»Meinen Sie das negativ?«
»Überhaupt nicht. Sie hatten alles im Griff. Nur ich habe es nicht geschafft.« Er schüttelte den Kopf und bereute es sehr schnell, denn wieder verschafften sich die Schmerzen freie Bahn, und wir hörten auch sein Stöhnen.
»Bitte«, sagte ich, »bewegen Sie sich vorsichtig. Es tut nicht gut, Herr Pfarrer.«
»Ja, ja, aber ich kann nicht ewig und
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