Engelsgesicht
machen Sie sich mal keine Sorgen. Andere in Ihrem Alter wären froh, wenn sie Ihr Aussehen hätten.«
»Das sagen Sie nur so.«
»Bestimmt nicht.« Lisa konnte perfekt lügen. Ihre Kundin konnte mit dem Aussehen wirklich nicht zufrieden sein, denn sie wirkte recht verhärmt. Spuren, die auch das Leben hinterlassen hatten. Nun versuchte sie, durch Gesundheitstee etwas von ihrer alten Frische zurückzubekommen.
»Ich will Sie auch nicht länger aufhalten, Lisa. Diese beiden Tees nehme ich mit.«
»Schön. Zu einer Creme kann ich Sie nicht überreden?«
»Nein, Lisa. Später, wenn Sie mir das Geheimnis Ihrer Jugend verraten. Dann schlage ich zu.«
»Ich werde sehen, was sich machen lässt. Möglicherweise haben Sie schon in der nächsten Woche Glück.«
Jetzt strahlte die Kundin. »Das wäre ja prima. Bekommen Sie dann neue Ware?«
»Nein, wo denken Sie hin? Ich erhalte keine neue Ware. Ich erstelle sie selbst, und ich selbst habe auch das Rezept erfunden. Sie müssen sich schon darauf verlassen.«
»Und ob ich mich darauf verlassen werde.« Die Kundin blieb in Hochstimmung. Sie zahlte den Betrag und verließ schon leicht beschwingt das Geschäft.
Lisa Barton schüttelte nur den Kopf. Nie würde die Kundin so aussehen wie sie. Auch die Sache mit dem Rezept hatte sie sich ausgedacht. Auf keinen Fall würde sie das Geheimnis preisgeben. Es blieb bei ihr so sicher.
Der Laden war mit einem Schaufenster ausgerüstet. Durch die Scheibe fiel Lisas Blick auf die Straße. Im Moment näherte sich kein Kunde, so hatte sie Zeit, sich um sich selbst zu kümmern.
An der schmaleren Wand links von der Tür hing ein fast bodenlanger Spiegel. Für Lisa Barton war er sehr wichtig. So oft wie möglich schaute sie hinein. Sie war ein Narziss wie es keinen zweiten auf dieser Welt gab.
Auch jetzt blieb sie vor dem Spiegel stehen. Sie hatte das Licht eingeschaltet, so wurde die helle Fläche von zwei verschiedenen Seiten angeleuchtet, und Lisa konnte sich von Kopf bis Fuß betrachten.
Der Kopf war wichtig. Besonders das Gesicht. Ihr Gesicht. Das wunderbare Etwas.
Die Frau trug ein blutrotes langes Kleid, das beinahe wie ein Bademantel geschnitten war. Darunter war sie nackt, aber sie ließ das Kleid an, als sie vor dem Spiegel stand. Nur den Ausschnitt schob sie dabei etwas zu den Seiten hin weg.
Makellos! Ein anderer Vergleich fiel ihr zu dem Gesicht nicht ein. Es war ohne Makel. Die dunklen Haare standen in starkem Kontrast zu der hellen Haut. Sie waren nicht schwarz, sondern hatten einen braunen Farbton, in den sich ein rötlicher Schimmer mischte. Wenn Licht auf das Haar fiel, warf es an bestimmten Stellen Reflexe.
Lisa Barton hob ihre Arme an, um die Hände in Höhe des Gesichts zu bringen. Sie streckte die Finger aus, damit die Kuppen über die Haut gleiten konnten. Sie tat es mehrmals am Tag und konnte sich daran berauschen, wenn die Finger die Straffheit spürten. Das war die Haut eines jungen Mädchens und nicht die einer reifen Frau. Und es würde so bleiben, wenn genügend Blut als Nachschub kam. Aber das war kein Problem. Noch am heutigen Tag würde wieder mehr Blut in der Wanne schwappen, denn ihre Fans würden kommen.
Sie lachte, als sie daran dachte, und ließ die Handflächen über die Wangen nach unten gleiten. Sie streiften auch den Hals, dessen Haut noch nicht so glatt war, aber das würde sich ändern.
Die Haut am Körper war schon perfekt. Dafür hatten eben die Blutbäder gesorgt.
»Ich bin wie sie!«, flüsterte sich Lisa im Spiegel zu. »Ich bin wie mein großes Vorbild.« Und dann sprach sie den Namen dieser Person mit einem leisen Stöhnen aus. »Elisabeth Bathory... die Blutgräfin, die es auch geschafft hatte.«
Das Blut der jungen Mädchen machte die Haut alterslos. Aber Lisa bedauerte, dass sie nicht die gleichen Chancen hatte wie ihr großes Vorbild. Sie hatte auch nicht die Macht der Bathory, die eine Adelige gewesen war. Ihr Einfluss war leider begrenzt. Zudem hockte sie hier in diesem Kaff fest.
Wenn alles vorbei war und wenn der letzte Tropfen Blut aus den Körpern der jungen Frauen geflossen war, dann wollte sie ihre Zelte hier abbrechen. Sie hatte schon vorgehabt, es zu tun, als man die beiden toten jungen Frauen gefunden hatte. Dann hatte sie es sich überlegt. Wer etwas wusste, der hatte dicht gehalten. Nichts war an die Öffentlichkeit gelangt, und so konnte sie noch tun und lassen, was sie wollte. Und sie würde weitermachen, bis alles perfekt war.
Was mit den jungen Frauen
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