Engelsgesicht
keine Folter gewesen. Es gehört dazu!«
»Ahhh«, sagte ich gedehnt. »Verstehe jetzt alles. Es gehört ebenso dazu wie die beiden Morde an euren Bekannten. Wie?«
»Sie wurden nicht ermordet!«
»So?«
»Hauen Sie ab!«
Eine andere Erklärung wollte man uns nicht geben. Wir spürten den Hass, der uns entgegenströmte, schon körperlich, aber wir waren derartige Situationen gewohnt und behielten den Überblick. »Darf ich fragen, mit wem ich es zu tun habe?«
»Sie ist meine Tochter!«, erwiderte der Mann halblaut hinter mir. »Ja, die eigene Tochter wollte zuschauen, wie man mir das Blut nahm. Welch eine verdammte Welt!«
Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich wollte schon nachfragen, ob es stimmte, als mein Blick wieder auf das Gesicht der jungen Frau fiel. Ja, es war die Wahrheit. Das triumphierende Lächeln wies darauf hin. Ebenfalls der Glanz in den Augen.
Hier taten sich Abgründe auf, die schließlich im Tod der beiden Frauen geendet waren.
Ich sah wieder die Fotos vor mir. Es hatte sich bei mir alles eingeprägt, und jetzt fielen meine Blicke auf die Gesichter der anderen hier.
Schnitte zeichneten sich dort ab. Zum Teil schon verheilt und deshalb auch nicht so gut zu sehen. Andere, die von einer dünnen und dunkleren Kruste bedeckt waren, traten schon deutlicher hervor. Damit stand für mich fest, dass sich alle hier in den tödlichen Kreislauf begeben hatten, aus dem sie letztendlich nicht mehr herauskamen.
»Wer seid ihr überhaupt?«, fuhr mich die Blonde an. »He, woher kommt ihr?«
»Das sind die beiden, die ich schon in Elham gesehen und von denen ich dir erzählt habe, Silvia«, flüsterte Susan Fenner so scharf, dass wir es ebenfalls hörten.
»Wer schickt euch?«
»Niemand.«
»Dann haut ab!«, schrie Silvia. »Es ist mir scheißegal. Wir lassen uns nicht stören. Es ist auch nicht verboten, Messer zu tragen. Habt ihr verstanden?«
»Aber es ist verboten, andere damit zu verletzen!«, erklärte Suko halblaut.
»Verletzen? Wen haben wir denn verletzt?«
»Willst du uns verarschen?«, fragte ich.
»Ich habe keinen verletzt.«
»Auch deinen Vater nicht?«
»Frag ihn doch!«
»Wollen Sie reden, Mister? Von Ihrer Aussage hängt schon einiges ab, denke ich.«
Es war die Zeit der Spannung. Ich war auch zur Seite getreten und hatte mich so hingestellt, dass ich den Mann und auch die sechs Frauen unter Kontrolle halten konnte.
Der Mann überlegte. Er hatte sein Taschentuch auf die Wunde gedrückt. Er focht einen innerlichen Kampf aus, und er sah sich auch den Blicken der anderen ausgesetzt.
»Nein, ich werde nichts sagen!«, erklärte er.
Ich wunderte mich schon. Auf der anderen Seite mischte seine Tochter mit. Da war er wohl von einem Sturm der Gefühle hin- und hergerissen worden.
Trotzdem fragte ich: »Sie haben sich das gut überlegt?«
»Das habe ich.«
Silvia lachte. »Da sehen Sie, was Sie mit Ihrer dummen Fragerei erreicht haben. Nichts, gar nichts. Hier ist auch nichts passiert, was zwei Fremde hätte interessieren können. Ein Rasiermesser darf jeder Mensch besitzen. Haut ab aus unserem Dunstkreis. Einen besseren Rat kann ich euch nicht geben.«
Das würde ich natürlich nicht tun, aber ich setzte mich schon in Bewegung und ging auf die Sprecherin zu. Es war kein weiter Weg, und ich zögerte auch nicht.
Silvia erwartete mich. Sie wich keinen Schritt nach hinten. Sie war und blieb auf mich fixiert, während ich mehr ihren rechten Arm im Auge behielt. Es konnte sein, dass die Hand plötzlich in die Höhe schnellte, um mir das Messer in die Kehle zu stoßen. Das tat sie nicht, sie zitterte nur leicht.
Ich blieb dicht vor ihr stehen. »Es stimmt, jeder kann ein Rasiermesser bei sich tragen, aber nicht jeder ist gleich. Es kommt immer darauf an, welche Gründe man hat. Will man sich nur rasieren, ist das schon okay, aber andere Menschen umzubringen oder sich selbst etwas damit anzutun, fällt schon aus dem Rahmen. Ich kann Ihnen jetzt noch einen Rat geben. Hören Sie auf. Machen Sie kehrt. Was immer Sie vorhaben, es kann nicht gut enden!«
Silvia hatte mir zugehört und dabei den Kopf ein wenig in den Nacken gedrückt. Die Lippen waren zusammengepresst. Wenn es ihr möglich gewesen wäre, hätte sie mich mit ihren scharfen Blicken getötet. »Spar dir deine Belehrungen, Arschloch. Was hier läuft, ist zu hoch für dich. Viel zu hoch.«
»Hier läuft Blut!«
Sie lachte. »Viel mehr als das. Es ist der Beginn. Der Beginn des Großen. Des...«
»Engelsgesichts?«
Meine
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