Engelsgesicht
drei Tage hier sitzen bleiben.«
»Kommen Sie, wir helfen Ihnen hoch.« Suko streckte ihm die Hand entgegen. Der Mann stand langsam auf. Und er bewegte sich auch kaum anders, als wir zum Wagen gingen. Er sprach nicht. Wir hörten wieder den Bach, der durch das schmale Bett plätscherte, wir spürten die warmen Strahlen der Sonne, und trotzdem war uns kalt geworden, denn was diese Frauen getan hatten, das war nicht zu entschuldigen. Sie würden auch noch weitergehen, viel weiter sogar.
Im Auto sagte er uns, wohin wir ihn bringen sollten. Während der Fahrt weinte er. Wahrscheinlich nicht um sich, sondern um seine Tochter, die den Weg ins Verderben eingeschlagen hatte. Für uns war es verständlich. Wir führten ihn in sein Haus. Ich tat dies. Suko ging vor. Er schaute sich schon im Haus um, doch das Misstrauen war nicht berechtigt. Es gab keinen, der auf uns wartete.
»Es wäre besser, wenn Sie sich in ärztliche Behandlung begeben würden«, riet ich dem Pfarrer, als wir sein Arbeitszimmer betreten hatten und er sich auf einen Stuhl hinter dem Schreibtisch setzte. Er konnte ihn kippen und lehnte sich nach hinten. So blieb er in dieser Haltung sitzen.
»Nein, Mr. Sinclair. Ich nehme ein paar Tabletten gegen die Kopfschmerzen, das reicht. Wenn Sie so nett sein würden. Sie stehen im Bad, in dem blauen Spiegelschrank.«
Ich fand das Bad, auch die Arznei, und kehrte zudem mit einem Glas Wasser zu ihm zurück.
»Danke«, flüsterte er, »danke.« Wir hätten ihn allein lassen können, damit er seine Ruhe hatte. Das taten wir nicht, denn der Pfarrer war das einzige Bindeglied zwischen uns und den Frauen. Er musste einfach mehr wissen, sonst hätten sie sich nicht um ihn gekümmert.
Er merkte auch, dass uns etwas auf dem Herzen brannte, und zeigte ein schwaches Lächeln. »Ich weiß, dass Sie mehr erfahren wollen.«
»Können Sie uns denn auch helfen?«, fragte Suko.
»Das weiß ich nicht. Es kommt darauf an, was Sie alles erfahren wollen.«
»Was Ihnen möglich ist. Und vor allen Dingen nur dann, wenn Sie es auch schaffen.«
Er schaute zu uns hoch. »Das glauben Sie mal nur. Ich will, dass es aufhört. Zudem ist meine eigene Tochter mit dabei. Das kann ich nicht begreifen.«
»Was sagt denn Ihre Frau dazu?«, fragte Suko leise.
Lintock zuckte zusammen, als hätte er Schmerzen. Es waren wohl seelische, wie seine Antwort uns aufklärte. »Meine Frau hat mich verlassen. Sie ist weg. Einfach so. Sie hat wohl das Leben hier nicht mehr ausgehalten. Ich werde auch verschwinden.«
»Und Silvia?«
»Ist sie noch zu retten, Suko?«
Der Inspektor zuckte die Achseln. »Was glauben Sie denn persönlich?«
»In der Nacht habe ich noch daran gedacht und auch damit gerechnet. Jetzt nicht mehr. Sie steckt nicht nur zu tief drin, sie ist sogar die Anführerin, wie ich sehen konnte. Es hätte ihr nichts ausgemacht, wenn ich verblutet wäre.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Suko. »Die wirkliche Anführerin ist eine andere Person.«
»Die kennen Sie?«, flüsterte der Pfarrer erstaunt.
»Wir haben von ihr gehört!«
»Wer ist es denn?«
Diesmal sprach ich. »Sie heißt wohl Lisa Barton und besitzt hier in Wingmore...«
»Ja, natürlich«, unterbrach mich der Pfarrer. »Sie hat einen Kosmetikladen. Verrückt ist das.«
»Warum?«
»Gehen Sie mal durch den Ort. Schauen Sie sich die Leute an. Da werden Sie kaum jemand finden, der in einem solchen Geschäft einkauft. Das ist etwas für die Großstadt, aber nicht für ein Kaff wie Wingmore.«
»Dennoch ist sie hier«, sagte Suko.
»Ja, es scheint ihr zu gefallen.«
»Nicht nur das. Es steckt auch etwas anderes dahinter. Davon sind wir überzeugt. Sie werden die Frau doch kennen, Mr. Lintock.«
»Klar. Nur nicht aus der Kirche. Da hat sie sich noch nie zuvor blicken lassen.«
»Was sagen Sie sonst von ihr?«
»Ich habe dort auch nicht eingekauft. Meine Frau schon und natürlich meine Tochter. Ich habe nie mit der Besitzerin des Ladens gesprochen, aber ich weiß, was andere über sie sagen.«
Ich lächelte. »Da sind wir gespannt.«
»Auf Klatsch und Tratsch?«
»Aber immer doch.«
Der Pfarrer sammelte sich und sagte dann: »Zum einen ist sie schon älter, aber sie sieht nicht so alt aus. Das Gesicht ist völlig anders. Ich habe sie natürlich nicht nackt gesehen, aber ich kann mir vorstellen, dass ihr Körper nicht zu dem Gesicht passt. Es ist so jugendlich frisch. So sieht man mit über vierzig nicht aus.«
»Wird sie deshalb Engelsgesicht genannt?«, fragte
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