Engelsgrab
bestanden.
»Jack?«, fragte Jenkins. »Haben Sie damit ein Problem?«
»Nein, ich überlege nur, ob es der richtige Ort für Sie ist.«
»Ach, das überlassen Sie ruhig mir«, erwiderte Jenkins.
»Sie wissen nicht, welche Menschen da verkehren«, versuchte Brady es erneut. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Adamson grinste ihn hämisch an. Anna Kodovesky sah aus, als warte sie nur darauf, Brady sexistisches Verhalten vorwerfen zu können. Brady gab auf. Nicht einmal er würde sich freiwillig in diese Kneipe begeben, aber das ließ er lieber unausgesprochen.
»Ich bin Teil dieser Ermittlung«, merkte Jenkins kühl an. »Und deshalb möchte ich auch wie alle anderen behandelt werden. Und ob Sie es glauben oder nicht, aber ein paar Betrunkene in einem Stripklub bringen mich bestimmt nicht aus der Fassung.«
»Fein«, antwortete Brady resigniert. »Dann ist ja alles bestens. Begleiten Sie DS Adamson, wenn Ihnen der Sinn danach steht.«
Nicht ohne Grund lag das Sunken Ship in der hintersten Ecke des Hafens von Wallsend. In ein paar Stunden würde auch Jenkins wissen, warum.
Brady drehte sich um und zeigte auf die Fotos am Whiteboard.
»Kommen wir zu der Tätowierung. Wir müssen das Studio finden, in dem sie gemacht wurde. Sophies Tattoo ist noch relativ neu, und sie war zu jung, um sich ohne die Erlaubnis ihrer Eltern tätowieren zu lassen. Deshalb möchte ich gern zweierlei erfahren: Zum einen, ob sie in Begleitung war, und wenn nicht, wer dann so dumm ist, ein junges Mädchen zu tätowieren, ohne sich den Ausweis zeigen zu lassen.«
»Sie sah älter als fünfzehn aus«, warf Jenkins ein.
»Das tut nichts zur Sache«, gab Brady zurück. »Ab achtzehn kann man sich ohne Einwilligung der Eltern tätowieren lassen. Vorher nicht.«
Er deutete auf DS Daniels und DS Kenny.
»Ihr beide nehmt euch morgen die Tattoostudios hier in der Gegend vor. Heute Abend sucht ihr nach Shane McGuire. Klappert sämtliche Kneipen in Whitley Bay und unten in North Parade nach ihm ab.«
Die Gesichter der beiden wurden lang. Die Pubs in North Parade waren nicht ganz so übel wie die in Wallsend, aber auch sie waren für ihre Kneipenschlägereien berüchtigt, und Polizisten, die Fragen stellten, würden als Prügelknaben eine willkommene Abwechslung sein.
»Kann ich noch etwas sagen?«, meldete Jenkins sich zu Wort.
»Bitte.« Brady setzte sich. Er wusste, was sie den anderen nahelegen wollte, denn netterweise hatte sie ihn vor der Besprechung um seine Einwilligung gebeten.
Jenkins stand auf und trat zum Whiteboard.
»Wir alle gehen davon aus, dass der Mörder sein Opfer gekannt hat. Ich möchte sogar sagen, Sophie hat ihm vertraut, denn sie hat sich nicht gegen ihn gewehrt. Sie hat sich auch freiwillig mit ihm auf dem alten Bauernhof getroffen oder ist mit ihm dorthin gegangen, denn Schleifspuren gibt es dort nirgends.«
Sie nickte zu Brady hinüber. »Aber all das hat DI Brady schon vorgetragen. Worauf ich hinauswill, ist der Angriff auf Sophies Gesicht. Ich vermute, Sie werten das als Overkill, als eine Art Wutrausch des Mörders, bei dem es sich möglicherweise um ihren unidentifizierten Freund handelt.«
Die meisten nickten oder murmelten zustimmend.
»Deshalb möchte ich, dass wir die Sache für einen Moment von einer anderen Seite her betrachten und uns fragen, warum der Mörder es ausgerechnet auf ihr Gesicht abgesehen hatte.«
Stille breitete sich aus. Hier und da runzelte einer die Stirn.
»Eifersucht könnte ein Grund dafür sein«, sagte Adamson schließlich. »Vielleicht hat sie noch mit anderen rumgemacht, und er ist dahintergekommen.«
»Möglich«, sagte Jenkins. »Doch in solchen Fällen richtet sich der Angriff eher auf Brust und Genitalien. Warum also haben wir es hier mit dem Gesicht zu tun?«
Adamson zuckte die Achseln. »Woher soll ich das wissen? Sie sind doch die Expertin.«
»Richtig. Und für mich sieht das nicht nach der Attacke eines Jungen oder Mannes aus, mit dem Sophie befreundet war. Für mich deutet das auf lange unterdrückte Wut, einen Affektstau, der sich entladen hat. Sophie Washington war ein ausgesprochen hübsches junges Mädchen.« Jenkins deutete auf das Schulfoto am Whiteboard.
»Deswegen hat jemand sie gehasst. Sogar so sehr, dass das Gesicht nicht einmal mehr im Tod erhalten bleiben durfte. Sie zu ermorden hat nicht genügt. Vielmehr musste ihre Attraktivität vernichtet werden.«
»Was ist daran so besonders?«, wunderte sich Adamson. »Ist das nicht, wie wenn ein
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