Engelsgrab
schließt ja die Gäste des Beacon nicht aus. Auch der Mörder könnte sich dort ein Glas genehmigt haben, ehe er sich mit Sophie auf dem alten Bauernhof traf. Wir wissen, dass sie eine Stunde vor ihrem Tod Sexualverkehr hatte. Und dass ihr Freund um einiges älter war als sie. Davon gehen wir aus, denn bislang sind das unsere einzigen Anhaltspunkte.«
»Ist es denn sicher, dass Sophie zu Fuß nach Hause gegangen ist?«, erkundigte sich Harvey.
»Sicher ist nur, dass sie Evie Matthews gegen zehn Uhr abends verlassen hat und von Earsdon aus nach Hause laufen wollte.«
In seiner schlimmsten Vorstellung sah Brady eine Videoaufnahme, die zeigte, wie Matthews auf dem Weg mit dem Wagen angehalten hatte und Sophie eingestiegen war.
»Das bedeutet, dass uns jede Minute zwischen zehn Uhr abends und dem Mord zwischen halb zwei und zwei Uhr morgens interessiert.«
Brady wandte sich Conrad zu.
»Sie schauen sich die Überwachungsaufnahmen zwischen Earsdon und West Monkseaton an und notieren alles, was auch nur ansatzweise verdächtig scheint.«
Conrad wirkte ein wenig überrascht, sagte aber nichts.
Brady nickte ihm wohlwollend zu. Er zweifelte keine Minute daran, dass Conrad zuerst zu ihm kommen würde, falls Matthews zusammen mit Sophie auf einem Videoband zu sehen war. Andere, insbesondere Adamson, würden mit einer solchen Information auf schnurgeradem Weg zu Gates laufen.
Bradys Blick glitt zu Adamson hinüber, der mit verschränkten Armen an der Wand lehnte und gelangweilt an die Decke starrte.
»Dann wäre da noch ein junger Mann, mit dem wir uns befassen müssen«, fuhr Brady fort. »Shane McGuire, der vor einer Weile mit Sophie befreundet war.«
Ein paar Augenbrauen wanderten in die Höhe. Andere fingen an zu tuscheln.
»Ich weiß, er ist kein unbeschriebenes Blatt. Zu Hause ist er derzeit nicht, auch nicht im Haus seiner Großmutter. Aber seine Mutter arbeitet im Sunken Ship, deshalb wird Adamson dorthin fahren und sich bei ihr nach ihrem Sohn erkundigen.«
Adamson löste den Blick von der Decke und wirkte nicht sehr erfreut. Offenbar hatte er wenig Lust, den Freitagabend in einer Gegend wie Wallsend zu verbringen und erst recht nicht in einer verrufenen Kaschemme wie dem Sunken Ship.
»Tut mir leid, Adamson.« Brady verkniff sich ein Grinsen. »Der Auftrag hat es in sich, aber irgendeiner muss ihn ja übernehmen. Aber gehen Sie nicht allein, nehmen Sie sich einen der Kollegen als Rückendeckung mit.«
Jeden anderen hätte Brady aufrichtig bedauert, denn die Gäste des Sunken Ship würden sämtlich betrunken und streitsüchtig sein. Polizisten wären für sie ein gefundenes Fressen. Schon Wallsend war ein Kapitel für sich und im Vergleich zu Whitley Bay die reine Hölle. Das Sunken Ship wiederum war gewissermaßen die Krönung. Die Einheimischen nannten es nur »Das Loch«. Dort arbeitete die Mutter von Shane McGuire, um ihren Drogenkonsum zu finanzieren, weshalb der Junge vorwiegend bei seiner Großmutter lebte, denn sein Vater saß im Gefängnis. Seine Mutter verkaufte in der Spelunke ihren Körper, genau wie die anderen Stripperinnen, die im Sunken Ship mit künstlich gebräunten Körpern und Einstichen an den Armen in von der Decke hängenden Käfigen tanzten.
Als Brady zuletzt in der Kneipe gewesen war, hatten die Frauen beim Lap Dance nicht einmal Geld zugesteckt bekommen. Vielmehr wurden sie mit Zigarettenstummeln beworfen oder mit Bierresten bespritzt, von anderen Körperflüssigkeiten ganz zu schweigen. Jedenfalls war das Sunken Ship alles andere als eine feine Adresse, sondern wie der Beiname schon sagte: ein Loch.
»Dann möchte ich Dr. Jenkins mitnehmen«, erklärte Adamson und drehte sich zu Brady um. »Eine Frau an meiner Seite wäre doch sinnvoll, wenn es darum geht, mit Shane McGuires Mutter zu reden.«
Es war eine Herausforderung, erkannte Brady, oder wenigstens ein kleiner Seitenhieb, um ihm in die Parade zu fahren. Und es wirkte, denn für einen Moment wusste er nicht, wie er reagieren sollte.
Er war schon im Begriff, den Vorschlag abzulehnen, doch da kam ihm Jenkins zuvor.
»Warum nicht?«, fragte sie, an Brady gewandt. »Es sei denn, Sie hätten etwas dagegen.«
Sprachlos schaute Brady sie an. An ihrer Stelle hätte er sich nicht einmal in die Nähe des Sunken Ship gewagt und ganz bestimmt nicht an einem Freitagabend. Am liebsten hätte er ihr erklärt, dass sie das niemals ungeschoren überleben würde, aber wahrscheinlich hätte sie dann erst recht auf dem Besuch
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