Engelsgrab
zurückgewiesener Mann Säure in das Gesicht seiner Ehefrau oder Freundin kippt? Oder ihr das Gesicht aufschlitzt?«
»Nein«, entgegnete Jenkins und schüttelte den Kopf.
»Und warum nicht?«, wollte Adamson wissen.
»Weil in den Fällen, auf die Sie sich beziehen, das Opfer noch lebt. Das ist sogar der springende Punkt, denn hinter solchen Angriffen steht der Wunsch nach Bestrafung. Das heißt, die Frau soll für den Rest ihres Lebens entstellt sein. Nach der Devise, wenn ich sie nicht haben kann, dann sorge ich dafür, dass auch kein anderer sie jemals wieder haben will.«
Jenkins machte eine Pause und betrachtete die skeptischen Mienen rundum.
»Sophie Washington dagegen war tot, als ihr Gesicht mehr oder weniger ausgelöscht wurde. Da ging es nicht um Strafe, sondern um das Abreagieren angestauter Wut«, sagte Jenkins und stellte fest, dass ihr niemand mehr zuhörte.
»Noch etwas. Ich möchte, dass Sie sämtliche Nachrichten auf Sophies Facebook Wall ernst nehmen. Es kann sein, dass auch der Täter dort irgendeine Botschaft hinterlassen hat. Das ist so ähnlich wie die Neigung eines Mörders, auf der Beerdigung seines Opfers zu erscheinen oder zu versuchen, in die Ermittlung einbezogen zu werden. Oder aber sich elektronisch bemerkbar zu machen.«
An die Einträge in Sophies Facebook dachte Brady nur ungern zurück. Sophie selbst hatte das übliche belanglose Zeug gepostet, hier und da gewürzt mit schlüpfrigen Andeutungen über ihre Erlebnisse mit Jungen. Auch die Fotos von der Wand ihres Zimmers hatte sie dort eingestellt. Zudem hatte sie im Internet einen anonymen Freund gehabt, der sich auf explizite Weise über seine sexuellen Begegnungen mit ihr ausgelassen hatte. Auch bei dieser Lektüre wäre niemand auf den Gedanken gekommen, Sophie könnte erst fünfzehn sein.
Jenkins blickte zu Brady, als sie sich wieder hinsetzte.
»Vielen Dank, Dr. Jenkins«, sagte Brady und stand auf, um fortzufahren. »Also, Leute, setzt euch in Bewegung. Morgen früh sehen wir uns wieder.«
Grummelnd rafften sie sich auf und verließen einer nach dem anderen den Raum.
Brady hielt Adamson am Arm fest. »Adamson, einen Moment noch. Ich warte noch immer auf die Unterlagen von Sophies Hausarzt, und die hätte ich gern noch heute Abend.« Natürlich war es nicht fair, ihm auch noch diesen Auftrag aufzubürden, aber Brady wollte ihm die Sache mit Jenkins heimzahlen. Dass sie sich mit Adamson einlassen würde, hielt er zwar für ausgeschlossen, aber mit allergrößter Wahrscheinlichkeit würde Adamson einen Vorstoß wagen.
Adamson sah ihn säuerlich an und schüttelte Bradys Arm ab.
»Passt Ihnen das etwa nicht? In dem Fall möchte ich Sie daran erinnern, dass es Sophie vermutlich auch nicht gepasst hat, mit elf Jahren schon sexuell missbraucht zu werden. Und dass es mir nicht passt, dass derjenige, der es getan hat, noch immer frei herumläuft. Denn schließlich könnte er unser Mörder sein, oder sehen Sie das anders? Für mich wäre es denkbar, dass Sophie diesem Mann damit gedroht hat, anderen von dem Missbrauch zu erzählen, woraufhin er sich entschieden hat, sie zum Schweigen zu bringen. Aber es ist unser verdammter Job, das herauszufinden. Und wenn das bedeutet, dass wir ihre medizinischen Unterlagen nach Hinweisen durchsehen müssen, dann werden wir genau das tun.«
In Bradys Rücken ertönte ein Räuspern. Als er sich umdrehte, stand Gates im Türrahmen, und Brady fragte sich, wie viel er mitbekommen hatte.
»Jack, ich würde gern mit Ihnen reden«, sagte Gates.
Fragend schaute Brady zu Conrad hinüber, doch der zuckte kaum merklich mit den Schultern.
»Sofort«, fügte Gates hinzu und machte kehrt.
Adamson lächelte triumphierend. Um ein Haar hätte Brady ihm eine heruntergehauen.
»Was wissen Sie darüber?«, fragte Gates in seinem Büro und hielt Brady einen Computerausdruck hin.
Brady nahm ihn entgegen. Es war der Bericht der toxikologischen Untersuchung von Sophies Blut-und Urinproben.
»Den habe ich noch nicht gesehen.«
»Dann schauen Sie ihn sich an.«
Brady überflog die Liste der Werte. »Du lieber Himmel«, murmelte er.
Die Alkoholkonzentration in Sophies Blut belief sich auf 2,39 Promille. Das bedeutete, dass sie sturzbetrunken gewesen war. Spuren von Cannabis waren ebenfalls gefunden worden.
Mit einem Seufzer ließ Brady den Ausdruck sinken.
»Ein blutjunges Mädchen aus guter Familie«, sagte Gates kopfschüttelnd. »Auf wie viele unschöne Enthüllungen darf ich mich denn noch gefasst
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