Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd
bevor sie sich in ihre Kehle gruben. Ihre Augen weiteten sich in Verblüffung und Schock. Ein Anblick wie süßer Nektar. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er sie tatsächlich angreifen würde. Nicht vor den anderen. Die Zeit schien sich zu verlangsamen. Oder war es seine Wahrnehmung, die die Sekunden auseinanderzog, sodass er den Rückschwung jeder einzelnen Wimper in Katherinas Lidschlag erkennen konnte? Er spürte die anderen mehr, als dass er sie sah. Ein Lufthauch streifte seinen Nacken, während Katherinas Körper sich unter seinen Knien aufbäumte. Mühelos kam er auf die Füße und glitt zurück, bevor sie ihn von sich schleudern konnte. Wie von selbst schmiegte sich das Heft des Schwertes in seine Hand. Erik und Jamil stürmten auf ihn zu. Konturen verliefen ineinander. Durch seine Adern tobte Feuer. Die Klinge sang.
Sein Zorn entlud sich in machtvollen Schlägen, zerfetzte Muskeln und Sehnen und explodierte in einem Funkenregen, als das Schwert endlich auf Stahl prallte. Erik parierte seinen Hieb. Den Schock spürte er bis tief in die Schulter. Mehr Klingen blitzten auf. Der Geruch von Blut erfüllte die Luft. Er zog die Waffe hoch und trieb Erik quer durch den Raum. Der Leutnant verlor das Gleichgewicht. Gabriel packte das Heft mit beiden Händen und trieb Erik die Klinge waagerecht in die Schulter, bis sich die Spitze in die Wand dahinter grub. Eriks Schrei verwehte. Ein scharfer Schmerz schoss durch seinen Rücken und ließ Gabriel herumfahren. Ungeschickt parierte er Jamils Attacke, unterlief die Schneide mit der eigenen Waffe und stieß den Assyrer mit einem Fußtritt zurück.
Doch nun drangen sie von allen Seiten auf ihn ein, ihre Gesichter ein Wirbel verschwimmender Farben. Er hieb um sich wie ein Berserker, brachte Joacin zu Fall, tauchte unter Cyrics Attacke weg, der vor ihm auftauchte. Jemand fügte ihm eine Wunde am Oberschenkel zu, die wie wahnsinnig blutete. Er konnte spüren, wie das Leben aus ihm herauslief, während er rücklings taumelte und gegen die Wand stieß. Sein Schrei vermengte sich mit den Schreien der anderen zu einer wütenden Kakofonie. Wut brannte wie ein Leuchtfeuer in seinen Adern, hielt ihn aufrecht und führte seinen Arm, obwohl er bereits wusste, dass er das hier nicht gewinnen konnte. Doch er hatte Katherina bluten lassenund das löste wilde Freude in ihm aus.
Den Hieb, der ihn zu Fall brachte, sah er nicht kommen. Der Boden drehte sich ihm entgegen, der Aufprall riss ihm den Atem von den Lippen. Dann breitete sich ein dumpfer Schmerz in der Brust aus und schließlich nur noch Schwärze.
Das Wetter passte zu Violets Stimmung. Eine undurchdringliche graue Wolkendecke wusch die Farben aus den Vorgärten und verwandelte die Stadt in eine trostlose Betonwüste mit billigen Leuchtreklamen.
Sie kaufte sich ein Sandwich und eine Handvoll Schokoriegel beim Mexican Deli auf der anderen Straßenseite, bevor sie das Büro betrat.
„Ich habe was gefunden!“, verkündete Marshall.
„Die Kanalpläne?“ Sie warf ihre Einkäufe auf den Tisch. „Willst du einen Schokoriegel?“
„Börsenberichte von 2007. VORTEC hat tief in der Scheiße gesteckt, die standen kurz vor dem Bankrott. Dann hat ein neuer Eigentümer den Laden übernommen. Ein halbes Jahr später kam die Ankündigung für Sangrin und der Laden war gerettet. Die Investoren überschlugen sich, ihr Geld in die Neuentwicklung zu pumpen.“
„Dann können sie Negativschlagzeilen für Sangrin gerade nicht brauchen, was?“
„Das wäre ganz schlecht. Sie müssen unbedingt die vorläufige Zulassung durchkriegen.“
„Und nun stell dir vor, in den abschließenden Testreihen tauchen diese Nebenwirkungen auf. Vielleicht nur bei ein paar Leuten, aber ... Marshall, du hättest ihn sehen sollen. Er hatte sein Gesicht unter einer Kapuze versteckt, aber seine Hand sah aus wie aus einem Horrorfilm.“
„Marv Snyder? Warum geht er nicht zum Arzt?“
„Weil er Angst hat, schätze ich. Und keine Krankenversicherung.“ Ohne rechten Enthusiasmus wickelte Violet einen Schokoriegel aus. Sie musste ihre Mutter zurückrufen und ihr eine Lüge über ihre Schwester erzählen, damit Mom sich nicht zu Tode sorgte. „Versuch, diese Kanalpläne aufzutreiben, okay?“
Gott, wie sie Emily hasste.
Es war dunkel, als Gabriel zu sich kam. Schmerzen tobten durch seinen Körper. An seinem Geist leckte gefährliche Schwäche, die ihm mehr als alle Qualen verriet, dass er an der Schwelle des Todes stand.
Er spürte die Kontraktionen
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