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Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Titel: Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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trockengelegt wurde wegen Einsturzgefahr. Das haben sie in den Sechzigern gemacht, auf den neuen Zeichnungen ist das nicht mehr drauf, aber hier“, sein Finger wanderte über das Papier, „muss es eine Blindmauer geben. Wenn sich da unten ein Geheimversteck befindet, dann im alten Teil der Kanalisation. Da besteht auch nicht die Gefahr, dass die Jungs von der Wartungstruppe auftauchen. Die wissen vermutlich gar nicht, dass es die alten Katakomben noch gibt.“
    „Dann hoffen wir mal, dass die Storys über Riesenratten und Krokodile in der Kanalisation erfunden sind“, sagte Violet.
    „Du willst da wirklich runter, was?“
    „Nicht ich. Wir.“
    Marshall rümpfte die Nase. „Habe ich mal erwähnt, dass mir körperliche Gewalt zuwider ist?“
    Sie musste lachen und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. „Ich passe schon auf, dass dir niemand den Arsch wegschießt.“
    „Ich wusste, dass du das sagen würdest.“
    Sie ließ eine Sporttasche vor ihm fallen. „Zieh dich um. Auf geht’s.“
    „Du meinst, sofort?“ War sein Widerwille zuvor noch Theater gewesen, stand ihm der Schrecken nun deutlich ins Gesicht geschrieben. „Heute noch?“
    „Warum nicht? Willst du bei helllichtem Tage da aufkreuzen?“
    „Es hätte den Vorteil, dass wir die Alligatoren sehen, bevor sie uns angreifen.“
    „Auch nur so lange, bis der Kanaldeckel hinter uns zufällt.“ Sie wedelte mit einer Taschenlampe. „Die hält drei Tage. Wir haben zwei davon.“
    Marshall nörgelte etwas Unverständliches, während er sich nach der Sporttasche bückte. Mit einer Miene absoluter Abscheu wühlte er darin herum.
    Violet zog ihre knöchelhohen Boots mit den schweren Profilsohlen an, die sich auch zum Klettern an Gletscherhängen eigneten. Für Abwasserkanäle würden die wohl reichen. Dann legte sie sich das Schulterhalfter mit der Pistole um, schlüpfte in ihre schwarze Windjacke und stopfte die Haare unter eine Base-Cap. Ihre Handschuhe verstaute sie in der Jackentasche für später, zusammen mit den verbliebenen Schokoriegeln und ihrem Autoschlüssel. Geduldig sah sie zu, wie Marshall seine Ausrüstung in einen Rucksack warf. Sie machten solche Touren nicht zum ersten Mal. Marshall zierte sich immer furchtbar, aber das gehörte einfach zur Show.
    „Fertig?“
    Er nickte verbissen.
    „Fein.“ Sie konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. Mit einem Ruck hob sie ihre Tasche hoch.
    Es war stockdunkel, als sie vom Freeway abfuhren und den Wagen an einem kleinen Park abstellten. Der L.A. River war nichts weiter als eine Betonrinne mit schräg abfallenden Ufern. Am Grund schimmerte eine schwärzliche Lache, die nach Kloake und Chemikalien stank. Büsche und halbhohe Bäume wucherten in der Mitte des Flussbetts, die Zweige behängt mit Papierfetzen und Plastiktüten, die die Frühjahrsfluten mitgerissen hatten.
    Zu Fuß überquerten sie den River an einer Überführung weiter flussabwärts, stiegen die Betonrampe hinab und liefen am trockenen Rand entlang, bis die mächtigen Säulen der Freewaybrücke über ihnen aufragten. Violet schaltete ihre Taschenlampe ein, schirmte aber das Licht mit der Hand ab. Unter der Brücke war es so finster, dass sie buchstäblich die Hand vor Augen nicht sehen konnte. Sie wollte nicht zu offensichtlich darauf aufmerksam machen, dass sie hier rumschnüffelten. Über ihren Köpfen erfüllte das monotone Rauschen des Freeways die Nacht. Es klang wie Ozeanwellen. Sie ließ den Strahl der Taschenlampe über die Betonrampe wandern, bis sie den ringförmigen Einstieg fand. Eine Luke verschloss die halb mannshohe Öffnung, Beton und Stahlstreben, wie ein alter Bombenkeller. Sie packte den rostigen Griff und zog daran. Die Luke bewegte sich ein paar Zentimeter und stoppte abrupt, als sich rasselnd eine Kette spannte. Der Lichtstrahl glitt über ein Vorhängeschloss, das neu und glänzend aussah.
    Sie hielt Marshall die Taschenlampe hin. „Halt mal bitte.“ In Sekunden war der Mechanismus aufgehebelt. Das Schloss war massiv genug, um einem Bolzenschneider standzuhalten, aber simpel konstruiert. Plötzlich erlosch das Licht.
    „Marshall?“
    „Still“, zischte er.
    Die Schwärze war undurchdringlich. „Was?“ Das Tosen der Autos überdeckte jedes Geräusch. „Was ist los?“
    „Ich glaube, da ist jemand.“
    Sein Atem blies gegen ihren Hals. Trotzdem konnte sie ihn kaum verstehen. Sie steckte den Dietrich in die Tasche und richtete sich auf. Minutenlang standen sie und lauschten. Doch die Nacht blieb

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