Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd
verfärben.“
„Sie sollten einen Arzt aufsuchen.“ Im gleichen Moment, da sie es aussprach, wusste sie, wie hilflos das klang. „Hören Sie“, fügte sie rasch hinzu, „ich werde diese Typen drankriegen und dann schauen wir uns nach einer Behandlung um. Die werden dafür bezahlen. Haben Sie eine Telefonnummer, unter der ich Sie erreichen kann?“
„Willst du mich verarschen?“
„Nein“, sagte sie ruhig.
Marv zuckte mit den Schultern, eine seltsam verdrehte Bewegung. „Geh zu Dan, wenn du was von mir willst. Dann finde ich dich schon.“ Er wandte sich ab und ging ein paar Schritte, dann blieb er erneut stehen. „Du bist nicht wirklich ein Bulle, oder? Du hast Dan Scheiße erzählt.“
„Ich bin Privatermittler“, gab sie zurück. „Meine Schwester war in der Sangrin-Testgruppe. Sie ist spurlos verschwunden.“
„Tut mir leid.“
„Muss es nicht.“
Er kicherte. „Du hast Dan einen mächtigen Schrecken eingejagt. Der hat sich fast in die Hosen gemacht vor Angst.“
„Hey, vielleicht haben Sie sie mal gesehen? Sie heißt Emily.“
Marv schüttelte den Kopf.
„Oder kennen Sie Julia Albright?“
„Tut mir leid, Schätzchen. Sagt mir nichts. Hab mir schon gedacht, dass die das bestimmt tausend Leuten gegeben haben, aber die haben das schön getrennt. Wussten sicher, warum.“
Er stand einen Moment und sah sie an. Sie erwiderte den Blick. „Ich hab noch was“, sagte er. „Willst du wissen, wo die mich hinbringen wollten?“
„Sag es mir.“
„Ich hab mich ein paar Nächte in der Gegend um die Klinik rumgetrieben.“ Wieder sein rasselndes Kichern. „Hab ja sonst nichts zu tun. Hab gewartet, bis der Ambulanzwagen wieder auftaucht und mich an ihn drangehängt. Weißt du, wo die 5 und die 134 sich kreuzen?“
„Am Griffith Park?“
„Genau. Du fährst am Zoo Drive runter, dann zweigt ein Schotterweg ab, der am L.A. River entlangführt. Unter der Freewaybrücke gibt’s einen Einstieg in die Kanalisation. Da drin sind sie abgetaucht. Eine halbe Meile Luftlinie von ihrer feinen Klinik. Ich wette, das ist ein Hintereingang.“ Irgendwo in der Nähe jaulte eine Polizeisirene auf. Marv zuckte zusammen und hob beide Hände. „Okay, das war’s. Ich bin raus.“
„Danke“, rief Violet ihm nach.
Aber er war schon in der Nacht verschwunden, lautlos wie ein räuberischer Schatten.
12
A
ls Violet am nächsten Morgen aus einem unruhigen Schlaf schreckte, war sie zuerst nicht sicher, welchen Teil der Ereignisse sie geträumt und welchen sie wirklich erlebt hatte. Verzögert registrierte sie, dass irgendwo ihr Handy klingelte. Sie stieß die Decke zurück und tappte nackt in die Küche auf der Suche nach ihrer Handtasche. Das Telefon war unauffindbar. Vergeblich durchwühlte sie sämtliche Taschen ihrer Jacke. Schließlich fand sie es in ihrer Jeans, doch da hatte der Anrufer längst aufgegeben.
„Shit“, flüsterte sie, als ihr Blick auf die Uhr fiel. Kurz nach zehn. Sie hatte grandios verschlafen. Auf dem Display leuchtete die Nummer ihrer Mutter, aber sie wollte jetzt nicht zurückrufen. Vor dem ersten Kaffee hatte sie keinen Nerv, Mom zu erklären, dass sie Emily noch nicht gefunden hatte.
Aber mach dir keine Sorgen, Mom. Erste Nachforschungen haben ergeben, dass sie einer militanten Endzeitsekte in die Hände gefallen ist und sich wahrscheinlich in einem dunklen Loch versteckt, wo sie zu einem Monster mutiert.
Dagegen war Mr. Hähnchen-mit-Knoblauch harmlos. Das hatte sie nun davon, mit ihrem Schicksal zu hadern.
Mit zittrigen Fingern goss sie Wasser in ihre Billig-Espresso-Maschine und füllte Kaffeepulver ins Sieb. Dann schleppte sie sich ins Bad, wusch sich das Gesicht und betrachtete ihre Augenringe. Gut, dass es so dunkel gewesen war in Gabriels Haus. Anders konnte sie sich nicht erklären, was ihn dazu bewog, sie zu verführen. Sie fühlte sich wie der kleinste der sieben Zwerge, der im Dreck herumkriechen und Schneewittchens verlorenes Medaillon finden muss, während seine großen Brüder mit der schwarzhaarigen Schönen flirten. Instinktiv tastete sie nach der leeren Stelle zwischen ihren Brüsten und fühlte sich noch elender, als ihr einfiel, dass sie die Libellenkette irgendwo auf ihrem Wüstenabenteuer verloren hatte. Entweder in Matavilya Crest oder in Gabriels Haus. Sie wusste nicht, welche der beiden Alternativen frustrierender war.
Mit steifen Gliedern schlüpfte sie in Jeans und ein Sweatshirt, das kuschelig weich vom vielen Tragen war und ihren Anfall von
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