Engelskraut
sie in den Entenpfuhl einbog, musste sie schmunzeln. In diesem Altstadtgässchen hatte sich früher der Delikatessenladen ihres Vaters befunden. Das war ein vertrauter Weg gewesen, als sie noch ein Kind war. Doch wie überall, hatte sich auch hier einiges verändert. Einen italienischen Delikatessenladen gab es in dieser Straße nicht mehr, das Haus war komplett umgebaut und erneuert worden und beherbergte nun eine Damenboutique.
»Franca! Bist du das?«, hörte sie mit einem Mal eine Stimme hinter sich.
Franca drehte sich um. Die Stimme klang fremd. Und die Frau mit den langen, rotblonden Haaren, die vor ihr stand, war ihr unbekannt.
Die andere strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Erinnerst du dich denn nicht an mich?« Ein strahlendes Lächeln bohrte zwei Grübchen in ihre vollen Wangen. »Ich bin’s, Ludmilla. Deine alte Schulkameradin.« Sie betonte das Wörtchen ›alt‹, obwohl Franca das Gefühl hatte, sie selbst sehe um etliche Jahre älter aus als die offensichtlich gleichaltrige, und wie sie fand, äußerst attraktive Frau vor ihr.
»Ludmilla?« Dunkel stieg eine Mädchengestalt vor Francas geistigem Auge auf. Wie viele Jahre war das her? 35 oder gar 40? Ein dickliches Kind mit roten Zöpfen, schiefen Zähnen und einer hässlichen Brille auf der Nase. Dieses Kind hatte absolut nichts gemein mit dieser strahlend schönen, schlanken Frau.
»Ja, ich weiß, ich hab mich ziemlich verändert.« Nun wirkte Ludmilla ein bisschen unsicher. »Aber dich hab ich sofort erkannt. Ich hab auch öfter von dir in der Zeitung gelesen. Du hast ja ziemlich Karriere gemacht.«
»Na, alles halb so wild«, wiegelte Franca ab.
»Du arbeitest bei der Polizei, nicht wahr?«
»Ja. Und du bist tatsächlich Ludmilla.« Franca schüttelte wieder den Kopf und musterte ihr Gegenüber von oben bis unten. »Ich kann’s kaum glauben.«
»Das sagt jeder, der mich von früher kennt. Aber Menschen verändern sich, nicht wahr? Und das ist auch gut so. Ich nenn mich jetzt Milla.« Ihr Lächeln wurde ein klein wenig gekünstelt. »Das klingt moderner.«
Ludmilla wurde früher nicht nur wegen ihres Aussehens und ihrer linkischen Art, sondern auch wegen ihres altmodisch klingenden Vornamens gehänselt. In Franca regte sich Unbehagen. Tief in ihrem Inneren nagte etwas, auf das sie keineswegs stolz war. Im Gegensatz zu Franca war Ludmilla unbeliebt gewesen, ein Mädchen, das von den anderen Mitschülern ausgegrenzt wurde. Franca musste sich beschämt eingestehen, dass sie zu dem Grüppchen frecher Mädchen gehört hatte, die mit Fingern auf Ludmilla gezeigt und sich immer neue Gemeinheiten ausgedacht hatten. Damals, vor einer Ewigkeit, wie es schien.
»Wollen wir einen Kaffee trinken?«, fragte Franca spontan, aus einem Gefühl heraus, etwas wiedergutmachen zu müssen.
Ludmilla strahlte. »Gern. Wenn du Zeit hast.«
»Die hab ich in der Tat nicht so oft«, sagte Franca. »Aber momentan ist’s ziemlich ruhig bei uns im Präsidium. Alle Leute sind offenbar so mit der BUGA beschäftigt, dass sie auf keine dummen Gedanken kommen.«
»Wollen wir ins ›Café Miljöö‹ in der Gemüsegasse?«, schlug Milla vor. »Das ist gleich um die Ecke, und dort ist es ganz nett.«
Franca war einverstanden. »Ja, das kenn ich.«
Im Café saßen sich die beiden Schulkameradinnen von einst gegenüber. Milla war ständig damit beschäftigt, die kupferrot glänzenden Locken, die ihr immer wieder ins Gesicht fielen, nach hinten zu streichen. Ihre auffällige Haarfarbe hatte ihr früher den Spitznamen Rotfuchs eingebracht. Sie hatte zu erzählen begonnen. Dass sie nie aus Koblenz hinausgekommen sei und dies auch nicht sonderlich bedauerte. Dass sie nach der Schule eine Lehre als Gärtnerin begonnen hatte. »Du weißt ja, mit der Natur war ich schon immer gut befreundet«, betonte sie und sah Franca in die Augen, offensichtlich, um Zustimmung in ihnen zu erkennen.
Franca konnte sich an keine bestimmten Vorlieben ihrer ehemaligen Mitschülerin erinnern.
»Und was machst du jetzt?«, wollte Franca wissen.
»Leider bin ich zurzeit arbeitslos.« Milla hob die schmalen Schultern. »Die Gärtnerei, für die ich gearbeitet habe, ist pleite gegangen. Ist ja nicht selten in der heutigen Zeit. Jeder kämpft ums Überleben.«
Ihre Hände waren ständig in Bewegung. Wenn sie nicht lebhaft gestikulierte oder sich von Zeit zu Zeit das Haar aus dem Gesicht strich, spielte sie mit dem Kaffeelöffel oder sie schob imaginäre Krümel vom Tisch.
»Das tut mir
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