Engelskraut
Leben zu geben. Ich habe gedacht, du meinst es ernst mit mir, doch du hast nur mit mir gespielt und mich ausgenutzt. Dass Liebe so blind und blöd machen kann und man nicht mehr den Unterschied zwischen ehrlichem Gefühl und Lüge erkennt, hätte ich nie geglaubt.
Du hast ein Stück aus meinem Herzen herausgerissen. Siehst du nicht, wie es blutet?
Ja, du hast recht, ich bin krank. Ja und? Sind wir das nicht alle mehr oder weniger? Auch du, mein Freund. Oder wie krank ist es, einer Frau das Blaue vom Himmel zu versprechen und nichts davon zu halten?
Weißt du, was es heißt, ganz alleine dazustehen und sich niemandem anvertrauen zu können?
Kannst du dir vorstellen, was es bedeutet, das Gefühl zu haben, nichts wert zu sein?
Glaub mir, ich habe gelernt, Schmerzen zu ertragen. Doch was du von mir verlangst, übersteigt meine Fähigkeit.
Ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Ich fühlte mich als ein Teil von dir. Du hast mich mit Gewalt von dir gerissen und nun sitze ich auf einem Scherbenhaufen. Ich weine keine Tränen, ich weine Blut.
Mein Inneres stirbt, während das Leben rund um mich herum weitergeht. Als ob nichts geschehen wäre.
Du lachst über meine intensiven Gefühle.›Nimm doch nicht alles so ernst.‹ – Ist das alles, was dir einfällt?
Mit einem Mal überkommt mich blinde Wut. Ich überlege fieberhaft, was ich dir antun könnte, damit du eine Ahnung von den Schmerzen bekommst, die ich erleiden muss. Gleichzeitig fürchte ich mich davor, die Kontrolle zu verlieren. Nicht mehr zu wissen, wozu ich imstande bin.
Dabei hätte alles so schön sein können …
6
Hans Kleinkauf hatte sich eine Dosensuppe aufgemacht. Seine Kochkünste reichten leider nicht über allgemeine Grundkenntnisse hinaus. Auch in dieser Hinsicht vermisste er seine Frau. Sie war eine gute Köchin gewesen, die manchmal zwei warme Mahlzeiten am Tag auf den Tisch brachte. Sie verarbeitete vieles, was im Garten wuchs, und es gab öfter Kuchen oder Waffeln, die sie sich am Nachmittag gönnten. Auf die Linie hatte sie nie geachtet – das brauchte sie auch nicht, er mochte sowieso keine Klappergestelle. Er fand, dass bei Ellie die Pölsterchen an den richtigen Stellen saßen. Und auch bei ihm hatte das gute Essen durchaus Spuren hinterlassen.
Seit es wärmer geworden war, hatte er unter dem Birnbaum einen Tisch und einen Stuhl aufgestellt, das war sein Essplatz. Von dort aus konnte er den Blick in seinem Garten schweifen lassen. Doch heute blieb er im Haus, draußen war es ihm zu kühl.
Nebenan hörte er die Nachbarin nach ihrem Kind rufen. Unmittelbar stand das Erlebnis der Nacht wieder vor seinen Augen. Ob er ihr davon berichten sollte? Lieber nicht, da er sich selbst nicht ganz sicher war, ob da wirklich jemand bei den Fichten gestanden hatte. Vielleicht war es ein Tier gewesen, das durch den Garten geschlichen war und die beiden Gerätschaften umgeworfen hatte. Andererseits würden die Nachbarn vielleicht seine Aufmerksamkeit schätzen. Heutzutage war man darauf angewiesen, dass man gegenseitig aufeinander achtgab. Man hörte immer wieder, wie viel Gesindel sich herumtrieb. Egal, ob in der Stadt oder auf dem Land. Früher hatte Hans Kleinkauf die Haustür nie abgeschlossen, jeder konnte bei ihnen ohne Vorankündigung eintreten. Doch seitdem sich die Zeitungsmeldungen von Einbrechern und dreisten Trickdieben häuften, hielt er stets die Haustür verschlossen.
Er füllte die Suppe in einen geblümten Porzellanteller, setzte sich ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Auf diese Weise hatte er das Gefühl, nicht alleine essen zu müssen. Danach döste er auf dem Sofa vor sich hin. Doch Ruhe fand er nicht. Das nächtliche Erlebnis ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.
»Herr Kleinkauf.« Stephanie Klaussners Gesicht war gerötet, die Haare ein wenig zerzaust. Sie wirkte, als ob er sie bei etwas gestört hätte. Ihr Blick glitt unstet über ihn hinweg. »Im Moment ist es grade etwas ungünstig«, sagte sie.
»Ja, ich will auch nicht stören«, erwiderte er. »Ich wollte nur …« Er stockte. Für einen flüchtigen Moment ging ihm durch den Kopf, wie hübsch sie war, gerade weil sie nicht so perfekt wie sonst aussah.
»Ja?« Sie sah auf ihre Armbanduhr. Es war später Nachmittag.
»Also, ich weiß jetzt nicht, ob ich Sie unnötig beunruhige, aber ich wollte Ihnen meine Beobachtung nicht vorenthalten. Heute Nacht, also eher heute ganz früh am Morgen …, es war jedenfalls noch dunkel, da war jemand auf Ihrem
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