Engelskraut
Jungen ins Internet stellt.«
Georgina rollte mit den Augen. »Die Leute sind nicht alle schlecht. Nur weil du es in deinem Präsidium vorwiegend mit solchen zu tun hast.«
Mit solchen Aussagen konnte man Franca treffen. Sie beschloss, einen Gang herunterzuschalten. »Ich meine, du in deinem Alter müsstest doch auf andere Weise Jungen kennenlernen.«
»Mama. Ich will mich doch nur mit ihm unterhalten, und zwar in aller Öffentlichkeit. Der hat eine Zeit lang in Seattle gelebt, genau wie ich. Er kennt die Stadt. Wo, bitte, soll ich jemanden kennenlernen, mit dem ich mich über Seattle unterhalten kann?«
Franca sah Georgina nachdenklich an. Ihre amerikanischen Wurzeln konnte ihre dunkelhäutige Tochter weiß Gott nicht verleugnen und das knappe Jahr, das sie bei Tante und Cousine in ihrer Geburtsstadt Seattle verbracht hatte, hatte sowohl ihren Englischkenntnissen als auch ihrer Lebenserfahrung ausgesprochen gutgetan.
»Du solltest wirklich mal von deinem berufsbedingten Misstrauen runterkommen. Wenigstens ein klein wenig.«
Franca schluckte den Kommentar, der ihr auf der Zunge lag, hinunter. »Wie alt ist er?«
»17.«
»Mir wäre wohler, wenn eine von deinen Freundinnen bei dem Treffen dabei wäre.« Franca seufzte.
»Keine von denen kennt Seattle. Die würden sich nur langweilen, wenn wir anfangen, insidermäßig über die amerikanische Lebensart zu reden.«
Georgina wartete keinen weiteren Kommentar ab, stand auf, nahm ihre Jacke vom Garderobenhaken und schulterte ihren pinkfarbenen Handtaschenbeutel. Kurz kam sie zurück ins Wohnzimmer. »Also. Ich geh dann mal.«
Franca sah an ihrer Tochter herunter. Jeans-Minirock, braune Stiefel. Eng anliegendes T-Shirt, das ihren Busen betonte und ein gerade noch akzeptables Dekolleté zeigte. Mit ihrer milchschokoladenbraunen Haut sah sie zum Anbeißen aus. Das musste Franca wohl oder übel zugeben. Sie dachte an Clarissa, die nur wenig älter war als Georgina und sich ähnlich kleidete.
»Georgina. Tu mir einen Gefallen und ruf mich um 9 Uhr an. Damit ich weiß, dass alles in Ordnung ist. Und sei bitte um 10 Uhr zu Hause.«
»Mann, das ist ja schlimmer als im Gefängnis.«
»Bitte!«
»10 Uhr? Mama, ich bin 16!«
»Wenn er wirklich so nett ist, kannst du ihn jederzeit wiedertreffen. Außerdem ist es gar nicht schlecht, wenn man das erste Treffen zeitlich begrenzt und sich rarmacht.«
»Ratschläge aus Mutterns Mottenkiste.« Georginas Missbilligung war deutlich in ihrem Gesicht zu lesen. Sie stöckelte zur Tür, die sie etwas geräuschvoll hinter sich zuschlug.
Franca stöhnte auf. Es war nicht immer einfach, Erziehungsberechtigte einer pubertierenden Tochter zu sein. Zumal, wenn diese den Dickkopf der Mutter geerbt hatte. Franca war inzwischen längst klar, was sie selbst ihrer Mutter damals in diesem Alter zugemutet hatte. Das war ebenfalls etwas, für das sie sich heute zeitweise schämte. Genauso wie für die Hänseleien Ludmilla gegenüber, die sie, ohne sich etwas dabei zu denken ausgeteilt hatte.
»Na, was machen wir zwei mit dem angebrochenen Abend?«, fragte sie in Farinellis Richtung, doch der Kater hob nur träge ein Augenlid, gähnte kurz, zeigte ihr seine rosige Zunge und seine kleinen, spitzen Zähnchen, um in der nächsten Sekunde wohlig weiterzuschlafen.
Farinelli, du wirst alt und träge, dachte Franca, während sie den Tisch abräumte. Wie alt der Kater tatsächlich war, wusste sie nicht, nachdem sie ihn vor einigen Jahren in einem erbarmungswürdigen Zustand aus einer Mülltonne gerettet hatte. Sie ging zum Bücherregal und nahm eines der alten Fotoalben heraus. Als sie es aufschlug, fielen ihr verwackelte Schwarz-Weiß-Bilder entgegen, die lose in dem Album lagen. Lächelnd erinnerte sie sich an ihren ersten Fotoapparat, den sie von einem Onkel geschenkt bekommen hatte und der offenbar nicht sehr teuer gewesen war. Mit dem hatte sie fast nur undeutliche Bilder geschossen, die sie aus unerfindlichen Gründen aufgehoben hatte, obwohl auf ihnen fast nichts zu erkennen war.
Sie sollte mal aufräumen und sämtlichen unnötigen Ballast wegwerfen. Wie oft hatte sie sich das schon vorgenommen? Aber irgendwie tat sie sich schwer damit, ihre Vergangenheit auszusortieren und Teile davon endgültig auf den Müll zu werfen. All diese Reminiszenzen, wozu auch die verwackelten Fotos gehörten, gaben ihr eine gewisse Sicherheit. Sichtbare Zeichen, dass sie ihr Leben wirklich gelebt hatte. Aber vielleicht würde sie gar nichts vermissen, wenn sich
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