Engelskraut
Intensität gespürt hatte. Das ihn aufwühlte und mit Scham und Verwirrung erfüllte.
Er stand auf. »Ich geh dann mal wieder.« Er fühlte sich unbeholfen und spürte, wie sein Mund sich verkrampfte.
Sie nickte. »Nett, dass Sie vorbeigekommen sind.«
»Und wie gesagt, wenn ich mal den Jungen mitnehmen soll, geben Sie mir einfach Bescheid.«
Zu Hause legte er sich auf die Couch. Mit klopfendem Herzen starrte er zur Decke. Ein kleiner Schauer lief ihm über den Rücken, als er daran dachte, ob ihr sein Haus ebenso gefallen würde wie ihm das ihre. Aber die Antwort darauf fiel klar und zu seinen Ungunsten aus.
21
Farinelli lag neben Franca auf dem Sofa und schnurrte. Es war ein langer Tag gewesen und sie war froh, dass sie allein war und sich niemandes Wünschen anpassen musste. Georgina war bei ihrem Vater. Auf dem Tisch standen ein Glas Rotwein und eine Schale mit Salzbrezeln. Daneben lag der Stapel mit den Computerausdrucken. Franca griff nach dem obersten Blatt und begann zu lesen.
Jürgen Klaussners Profil, in dem er sich Tomtiger nannte, drückte erhebliches Selbstbewusstsein aus. Er suchte ausschließlich Frauen im nahen Umkreis und er hatte immer die gleiche Masche drauf. In einer kurzen Mail schrieb er eine Frau an, bewunderte ihr Foto und ihr Profil, machte Komplimente, die kein ernsthafter Mensch glauben konnte, aber offensichtlich bei den auserwählten Frauen gut ankamen. Und bat daraufhin um die Telefonnummer oder gleich um ein erstes Treffen. Er bevorzugte Blind Dates. Zumindest von seiner Seite. Auf Fragen nach einem Foto von ihm antwortete er stereotyp: ›Lass dich überraschen.‹ Dass er verheiratet war, verschwieg er geflissentlich. Auch dass er einen Sohn hatte, war nirgends erwähnt.
Einige Porträtfotos der Frauen waren den Textausdrucken beigelegt, die langhaarige, manchmal auch etwas lüstern dreinschauende Damen zeigten. Wildkätzchen, Rosenrot, Blacklady, Mandragora, Partymaus, so oder ähnlich nannten sich die Weibchen, die er sich ausgesucht hatte. Einige hatten auch ihre Realnamen genannt. Wenn sie denn stimmten.
Offensichtlich war Tomtiger ein gefragter Mann. Ein Hotshot, der die Frauenherzen allein durch seine Worte anzog. Obwohl er kein Foto von sich ins Internet gestellt hatte, gab es reihenweise Anfragen von interessierten Frauen.
Das Lesen der Mails und Chat-Protokolle war äußerst ermüdend. Es war ein ständiges Aufplustern auf beiden Seiten. Jeder versuchte, sich ins rechte Licht zu rücken und mit seinen Vorzügen zu kokettieren. Aus allen Sätzen strahlte das offensiv zur Schau gestellte Statement: ›Nimm mich, ich bin das Beste, was du kriegen kannst.‹ Nicht selten folgten dann eine Menge Belanglosigkeiten.
Nun ja, vielleicht las man solche Anpreisungen mit anderen Augen, wenn man direkt involviert war. Als Außenstehende war diese Lektüre ziemlich abschreckend.
Franca gähnte. Irgendwann schreckte sie auf und merkte, dass sie über den Blättern eingeschlafen war. Sie sammelte das Papier ein, legte es ordentlich auf einen Stapel, ging ins Bad, putzte sich die Zähne, trug reichlich Nachtcreme auf und legte sich ins Bett.
Morgen ist auch noch ein Tag, hatte sie gedacht, bevor sie einschlief.
22
Clarissa stieg die ausgetretenen Stufen hoch, die bei jedem Schritt knarrten. Franca folgte ihr und begutachtete ihren wiegenden Gang, das puppenhafte Figürchen, den kurzen Rock.
Das düstere Treppenhaus wirkte und renovierungsbedürftig. Ein Jugendlicher mit hängendem Hosenboden und Punkerfrisur drückte sich grußlos an ihnen vorbei.
»Hast du eigentlich einen Freund, Clarissa?«, fragte Franca.
Die Praktikantin drehte sich zu ihr um. »So einen wie den da? Nein, danke.« Sie grinste. »Ich bin mit meinem Singledasein ganz zufrieden. Wenn du einen Freund hast, heißt das doch nichts weiter, als dass du deinen Trip zur Hölle nicht allein machen musst.«
Die Kleine hatte manchmal ganz schön kesse Sprüche drauf.
»Sehnt sich nicht jeder nach einem Partner?«, forschte Franca weiter.
»Wenn mir der Richtige übern Weg läuft, werde ich es schon merken.« Sie lachte breit. »Das eben war nur so ein Spruch. Ist von Marilyn Manson.«
Marilyn Manson sagte Franca nichts. Sie kannte lediglich Marilyn Monroe. Und der hätte sie einen solchen Spruch auch zugetraut.
Vierter Stock, Dachwohnung. Hier wohnte Ariane Bender. PTA von Beruf und Mitarbeiterin in Klaussners Apotheke.
Oben war die Tür angelehnt.
»Kommen Sie rein!«, rief eine Frau aus dem
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