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Engelskraut

Engelskraut

Titel: Engelskraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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nannte.
    Einen Moment erschrak er fast vor der Macht der Begierde, die ihn überfiel. Doch er mahnte sich zur Räson. Er war hier, um ihr seine nachbarschaftliche Hilfe anzubieten. Nichts weiter.
    Er war verwirrt über die widersprüchlichen Empfindungen, die ihn erfassten. Nach Ellies Tod hatte er sich als alter Mann gefühlt, für den das Leben kaum noch Überraschungen bereithielt. Doch jetzt begann sich in ihm ein Gefühl auszudehnen, ein Bewusstsein dessen, dass ein Neuanfang möglich war. Auch noch mit Mitte 60.
    »Möchten Sie etwas trinken?«, fragte sie höflich.
    »Bitte keine Umstände.«
    Sie setzte sich aufs Sofa. Sah ihn unsicher an. Erwartete, dass er etwas sagte. Er wusste nicht, was. In diesem Moment kam es ihm blöd vor, dass er überhaupt hierhergekommen war. Was war er bloß für ein Idiot!
    »Ich habe viel nachgedacht«, begann sie und schluckte. »Sagten Sie nicht letztens, Sie hätten etwas gehört bei uns im Garten?« Sie suchte seinen Blick. Er bemerkte, dass ihre Augen haselnussbraun waren mit einem Ring um die Iris. »Wann war das genau?«
    »Darüber habe ich mir auch schon den Kopf zerbrochen«, antwortete er. Was, wenn der Schatten, den er im Garten gesehen hatte, etwas mit dem Tod von Jürgen Klaussner zu tun hatte? Hätte er etwas verhindern können, wenn er schneller reagiert hätte? Vielleicht war Klaussner ausgespäht worden. Wie oft hatte Hans Kleinkauf versucht, sich an diesen Moment zu erinnern, als das ungewohnte Geräusch ihn aufschreckte und er seine Brille suchte. Aber es blieb nichts als ein Schatten, ein Schemen, der keine Gestalt annahm. »Ich glaube, es war in der Nacht von Montag auf Dienstag. Es kann aber auch in der darauffolgenden Nacht gewesen sein. Ganz genau weiß ich es nicht mehr.« Er hob die Schultern. Jetzt bloß nicht mit seinem Alter kokettieren. »Ich habe das auch schon der Polizei mitgeteilt.«
    »Was genau haben Sie gesehen?« Sie sah ihn durchdringend an.
    »Ich meine, da wäre eine Gestalt gewesen. Aber …« Verlegen brach er ab. Der Wind schaukelte sanft die leuchtend grünen Blätter des Baumhasels vor dem Fenster. Eine Elster flog zwischen die Gabelung in der Krone mit einem Zweig im Schnabel. Sie baute ein Nest.
    »Am Sonntag haben wir uns ganz furchtbar gestritten«, sagte Stephanie Klaussner unvermittelt. »Vielleicht haben Sie es ja gehört.«
    Er schwieg. Wollte ihr nicht mitteilen, dass er alles mitbekommen hatte. Was hätte sie dann von ihm gedacht?
    »Und ich kann mich nun nicht mehr bei ihm entschuldigen für die schlimmen Worte, die ich ihm an den Kopf geworfen habe.«
    Tränen begannen zu tropfen. Das Weinen machte ihn ratlos. Wie sollte er sich bloß verhalten? Ellie hatte nicht oft geweint. Sie war eine starke Frau gewesen, die auch in schweren Lebenslagen nicht sofort in Tränen ausbrach. Und im gleichen Moment dachte er: Schon wieder dieser Vergleich mit Ellie.
    »Ich … ich möchte Ihnen meine Hilfe anbieten. Vielleicht haben Sie etwas zu erledigen, das nur ein Mann kann.« Wie das klang. »Ich meine, ich lebe allein und bin seit Kurzem berentet«, fügte er schnell hinzu. »Ich habe alle Zeit der Welt. Obwohl man ja immer behauptet, Rentner hätten am allerwenigsten Zeit.« Er versuchte ein Lächeln. Sie ging nicht darauf ein. »Oder wenn ich Ihnen den Jungen mal abnehmen soll. Ich habe eine Dauerkarte für die BUGA. Da sind viele Angebote für Kinder. Am Deutschen Eck gibt es einen Wasserspielplatz und oben auf dem Festungsplateau ist ein Abenteuer- und Kletterspielplatz.
    Da kommt er auf andere Gedanken.«
    »Sie sind sehr nett«, sagte sie freundlich.
    Dennoch fühlte er sich unbehaglich. Wie mochte er auf sie wirken? Als ihre Blicke sich trafen, sah er schnell wieder weg, an ihr vorbei. Dachte, dass er sich in diesen Räumlichkeiten wohlfühlen würde. Sie war anders eingerichtet als er. Moderner, heller und sicher auch geschmackvoller. Und es war gemütlich bei ihr. Er konnte sich durchaus vorstellen, zusammen mit ihr auf dem Sofa zu sitzen, abends, und fernzusehen. Oder sich mit ihr bei einem Glas Wein zu unterhalten.
    Im gleichen Moment erschreckte er sich vor solcherlei Gedanken. Wie kam er nur dazu, so etwas zu denken? Was spukte ihm da bloß im Kopf herum? Sie war eine junge Frau, die gerade durch ein Verbrechen ihren Mann verloren hatte. Und er war ein alter Mann. Wenn überhaupt, wünschte sie sich sicher einen anderen, jüngeren Begleiter als ihn. Und doch war da das Begehren, das er schon lange nicht mehr in dieser

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