Engelskraut
toll der Chef ist … äh war, also, aber ich will hier um Gottes willen niemanden anschwärzen. Und so richtig vorstellen kann ich mir nicht, dass da was lief. Ich meine, der hatte doch eine sehr attraktive Frau zu Hause.«
»Ist diese Sache der Polizei gemeldet worden?«
»Ich glaube nicht. Jedenfalls wurde ich nicht polizeilich befragt. Mein Chef hat das auf seine Weise geregelt und mich zu einem Psychologen geschickt. Ein Freund von ihm. Seitdem bin ich krankgeschrieben.«
»Wann hatten Sie zuletzt Kontakt mit Ihrem Chef?«
»An meinem letzten Arbeitstag. Das liegt etwa drei Wochen zurück.«
»Und seitdem haben Sie ihn nie wiedergesehen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht gesehen, nicht telefoniert, keinerlei sonstigen Kontakt. Jedenfalls nicht von meiner Seite aus.«
»Was heißt das?«
»Dass er mich angerufen hat. Das Stalking ging offenbar weiter. Darüber hat er sich beschwert. Ich konnte ihm immer nur dasselbe sagen: Dass ich es mir nicht erklären kann.«
»Was behauptete er?«
»Dass ich die gesamte Familie belästige. Dass ich ihnen auflauere, dass ich das Telefon mitten in der Nacht klingeln lasse. All so was, was ein krankes Gehirn eben tut. Aber ich versichere Ihnen, ich war das nicht. Warum sollte ich so was machen? Ich war noch nie in seinem Privathaus. Ich weiß gar nicht, wo er wohnt. Außerdem arbeite ich gern und ich würde nichts lieber tun, als morgen wieder in der Apotheke anzufangen.«
Franca sah sie durchdringend an. »Sagt Ihnen der Name Tomtiger etwas?«
»Tomtiger? Sie meinen Tom Jones, den Sänger? Hat der nicht irgendwas mit einem Tiger gesungen?«
»Nein, den meine ich nicht.«
»Vieles von dem, was sie sagt, passt ins Bild«, sagte Franca, als sie zusammen mit Clarissa die knarrenden Treppenstufen wieder hinuntergingen.
»Du meinst die Sache mit dem Nachbarn?«
»Genau.«
»Der hat doch niemanden wirklich gesehen.«
»Das nicht. Aber er ist sich ziemlich sicher, dass sich da eine Gestalt im Nachbargarten rumgetrieben hat. Nur weil er seine Brille nicht aufhatte, konnte er nicht mehr erkennen.«
»Klaussners Frau ist auch der Meinung, dass ihr Mann von Ariane Bender belästigt wurde.«
»Mit solchen Aussagen muss man vorsichtig sein«, meinte Franca.
»Und wenn es doch Ariane Bender war? Dieser Frau traue ich nicht«, sagte Clarissa. »Die tat mir ein bisschen zu freundlich und unschuldig.«
»Aha.«
»Außerdem würden Stalker niemals zugeben, dass sie stalken.«
Franca hob die Schultern. Das Argument war angebracht.
»Hast du die Sofakissen gesehen? Die waren selbst genäht. Genau wie Jürgen Klaussners Totenkissen.«
Franca hielt einen Moment inne. Auf die Kissen hatte sie nicht geachtet. »Du meinst?«
Clarissa nickte.
23
»Der Fliegentest hat ergeben, dass der Apotheker vergiftet wurde.« Irene Seiler war am Apparat.
»Fliegentest?«, fragte Franca.
»Eine gängige Methode. Wenn man Tod durch Vergiften vermutet, gibt man eine Gewebeprobe der Leiche in eine Petrischale. Sterben die Fliegen innerhalb kürzester Zeit, spricht das eindeutig für eine Intoxikation.«
»Und die Fliegen sind gestorben?«
»Genau.«
»Selbstmord ist ausgeschlossen?«
»Ja. Aber das haben wir nicht durch den Fliegentest herausgefunden.« Irene Seiler lachte.
»Die Serotoninwerte. Ich weiß. Schließlich hatten wir letztens einen klaren Suizid.«
»Seine Serotoninwerte sind vollkommen normal. Morgen geht Ihnen der ausführliche Obduktionsbericht zu, Frau Mazzari. Wie Sie sehen, haben wir uns beeilt.«
»Ich danke Ihnen. Wissen Sie, um was für eine Substanz es sich handelt?«
»Das steht bislang nicht zweifelsfrei fest. Wir haben zwar schon einiges überprüft. Jedoch wenn man bedenkt, dass es über 150.000 verschiedene Produktprofile von Giften gibt, hält uns das noch eine geraume Weile auf Trab. Einiges konnten wir bereits ausschließen. Dennoch sind weitere aufwändige Tests und spezielle chemische Analysen notwendig. Nicht nur Blut und Urin müssen toxikologisch untersucht werden, sondern auch Haut, Leber und Magen. Außerdem …«
Franca unterbrach sie abrupt.
»Danke, keine weiteren Einzelheiten.«
Irene Seiler lachte. »Klingt nicht sehr appetitlich, wie? Aber das ist nun mal unser Alltag. Wissen Sie, der Albtraum eines jeden Toxikologen ist das perfekte Gift, das nicht nachzuweisen ist.«
»Das gibt es tatsächlich?«
»Klar. Zum Beispiel, wenn ein stark wirkendes Gift in homöopathischen Dosen verabreicht wurde, bei dem unsere Methoden nicht
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