Engelskraut
greifen, dann ist das ganz schlecht. Sie glauben nicht, wie erfinderisch Giftmörder sein können. Es gab da beispielsweise einen Fall, da hat eine Frau ihrem Mann täglich einen Esslöffel frisch gepressten Lauch aufs Essen gegeben. Binnen sechs Wochen ist er an toxischem Leberversagen durch die Thiole gestorben. Tja, alter Hexentipp.« Sie lachte.
»Das hört sich ja furchtbar an.«
»Na ja, das sind eher Ausnahmen. Die meisten Gifte, mit denen wir bislang zu tun hatten, ließen sich zweifelsfrei bestimmen. Wir verfügen schließlich über hocheffiziente Geräte.«
»Was ist mit der Erde unter seinen Fingernägeln?«
»Die ist ebenfalls toxisch, hat aber nichts mit der Substanz zu tun, die er zu sich genommen hat.«
»Also das Totalherbizid?«
»Genau.«
»Ich danke Ihnen.« Franca legte den Hörer auf und lief schnell hinüber zum Besprechungsraum, wo ihre Kollegen schon auf sie warteten.
24
Sie legte den Kopf in den Nacken und fühlte sich ausgelaugt. Der Tag war sehr anstrengend gewesen, viele neue Hinweise waren eingegangen, etliches war abgearbeitet worden, aber ein greifbares Ergebnis gab es immer noch nicht. Clarissa und Hinterhuber waren längst nach Hause gegangen, nur sie hockte nach wie vor in ihrem kleinen Büro über Computerausdrucken und Protokollen. Ungefähr ein Drittel hatte sie durch. Es war wirklich erstaunlich, was Menschen für wichtig hielten und glaubten, sich gegenseitig mitteilen zu müssen.
Das Telefon klingelte. Laut und unnachgiebig. Nein, für heute hatte sie genug getan. Eigentlich sollte auch sie längst zu Hause sein. Doch das Telefon verstummte nicht. Nach einigem Zögern nahm sie den Hörer ab. »Mazzari«, meldete sie sich.
»Hab ich mir’s gedacht, dass du noch in deinem Büro hockst«, ließ Milla sich vernehmen. »Was hältst du davon, dein Versprechen einzulösen und mit mir um die Häuser zu ziehen?«
»Hallo, Milla. Heute kann ich auf gar keinen Fall. Ich bin hundemüde«, antwortete Franca und unterdrückte ein Gähnen. »Außerdem ersticke ich in Arbeit.«
»Umso mehr hast du dir eine kleine Abwechslung verdient.«
»Nein, nein«, protestierte Franca. »Ich wäre keine gute Gesellschaft.«
»Wenn’s sonst nichts ist. Ich muntere dich schon auf.« Millas Stimme klang fröhlich. «Na komm, gib deinem Herzen einen Stoß. Ein bisschen Tapetenwechsel hat noch jedem gutgetan. Man muss mal raus, auf andere Gedanken kommen. Auch eine Polizistin hat ein Recht auf Feierabend.«
Milla gab sich redlich Mühe, Franca umzustimmen. Und irgendwann hatte sie keine Kraft mehr zu protestieren. Im Gegenteil, auf einmal merkte sie, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte, als unter stinknormalen Menschen ein Glas Wein zu trinken.
Milla erschien aufgebrezelt. Unter ihrer Jacke blitzte ein enges rotes Top mit tiefem Ausschnitt und aufgestickten Pailletten. »Ich schlage vor, dass wir als Erstes ins ›Café Einstein‹ gehen und dort eine Kleinigkeit essen, okay?«
»Was heißt hier als Erstes? Was hast du denn alles vor?«
»Wirst du schon sehen.«
Neben Milla kam sich Franca ein wenig underdressed vor. Da sie direkt von der Arbeit kam, trug sie die gleichen Klamotten, die sie tagsüber anhatte. Eine Jeans und einen türkisfarbenen Baumwollpullover. Um den Hals hatte sie einen weiß-türkis gestreiften Schal geschlungen.
»Lass uns einfach etwas Spaß haben, ja?«
Vor dem Café in der Firmungstraße saßen ein paar Hartgesottene in Mänteln und wärmten sich an großen Tassen Café Latte. Im Inneren herrschte buntes Treiben. Männer lehnten locker in Balzmanier am Tresen und versuchten, Frauen gestenreich zu beeindrucken. Ein Grüppchen Frauen saß wie drapiert auf hohen Barhockern, sie wippten mit den Füßen und hielten Proseccogläser in den Händen. Angesagte Musik übertönte das Stimmengemurmel.
Ludmilla steuerte einen der freien Tische am Fenster an und gab ihre Bestellung auf. Fingerfood wurde auf hübschen weißen Porzellantellern serviert, das etwas exotisch, aber sehr lecker schmeckte. Auch der Wein war gut.
Franca sah sich um. Das ›Einstein‹ galt als der Koblenzer In-Treffpunkt der Singles. Ein Lokal, das Franca bisher nur zum Frühstücken am Wochenende besucht hatte. Dann tummelte sich hier ein ganz anderes Publikum.
Mit Ludmilla kam diesmal kein richtiges Gespräch zustande. Andauernd wandte sie den Kopf, klimperte mit den Wimpern oder leckte sich über die Lippen. Überdeutlich signalisierte sie, dass sie auf Beutesuche war. Auf so etwas
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