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Engelslicht

Engelslicht

Titel: Engelslicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Kate
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den blassen Himmel im Osten blickte, konnte Luce nicht aufhören, diese letzten Minuten zu Hause im Geiste durchzuspielen und sich zu wünschen, sie hätte es anders gemacht. Sie hätte ihren Dad ein wenig fester umarmen sollen. Sie hätte wirklich auf die Ratschläge ihrer Mutter hören sollen. Sie hätte ihrer besten Freundin mehr Zeit schenken und sie nach ihrem Leben in Dover fragen sollen. Sie hätte nicht so selbstsüchtig oder so in Eile sein sollen. Jetzt brachte sie jede Sekunde weiter weg von Thunderbolt und ihren Eltern und Callie, und jede Sekunde rang Luce mit dem wachsenden Gefühl, dass sie die drei vielleicht nie wiedersehen würde.
    Luce glaubte von ganzem Herzen an das, was sie und Daniel und die anderen Engel taten. Aber dies war nicht das erste Mal, dass sie die Menschen, die ihr wichtig waren, wegen Daniel im Stich ließ. Sie dachte an die Beerdigung, deren Zeuge sie in Preußen geworden war, an die dunklen Wollmäntel und die rot geweinten Augen ihrer Lieben, in denen die Tränen der Trauer über ihren frühen, plötzlichen Tod gestanden hatten. Sie dachte an ihre schöne Mutter im mittelalterlichen England, wo sie den Valentinstag verbracht hatte, an ihre Schwester Helen und ihre Freundinnen Laura und Eleanor. Das war das einzige Leben, das sie besucht hatte, in dem sie nicht ihren eigenen Tod erlebt hatte, aber sie hatte genug gesehen, um zu wissen, dass es gute Menschen gab, die über Lucindas unvermeidliches Dahinscheiden am Boden zerstört sein würden. Allein die Vorstellung krampfte ihr den Magen zusammen. Und dann dachte Luce an Lucia, das Mädchen, das sie in Italien gewesen war und das seine Familie im Krieg verloren hatte, das Mädchen, das außer Daniel niemanden gehabt hatte, dessen Leben – so kurz es auch gewesen war – wegen seiner Liebe erfüllt gewesen war.
    Als sie sich fester an seine Brust schmiegte, ließ Daniel die Hände in den Ärmeln ihres Pullovers emporgleiten und malte ihr mit den Fingern Kreise auf die Arme, so als zeichne er kleine Heiligenscheine auf ihre Haut. »Erzähl mir: Was war das Beste in all deinen Leben?«
    Sie wollte sage: Das Beste war, dich zu finden – jedes Mal. Aber so einfach war das nicht. Es war schwer, selbst insgeheim an sie zu denken. Ihre früheren Leben begannen ineinander zu fallen und sich zu vermischen wie in einem Kaleidoskop. Da waren diese schönen Minuten auf Tahiti, als Lulu Daniels Brust tätowiert hatte. Und die Art, wie sie im alten China eine Schlacht verlassen hatten, weil ihre Liebe wichtiger war, als Krieg zu führen. Sie hätte ein Dutzend gestohlener erotischer Augenblicke nennen können, ein Dutzend herrlicher bittersüßer Küsse. Luce wusste, dass sie nicht die besten Teile waren.
    Das Beste war jetzt. Das war es, was sie von ihren Reisen durch die Epochen mitgenommen hatte: Er bedeutete ihr alles, so wie sie ihm alles bedeutete. Die einzige Möglichkeit, dieses tiefe Maß ihrer Liebe zu erleben, bestand darin, jeden neuen Moment gemeinsam zu beginnen, als sei die Zeit aus Wolken gemacht. Und Luce wusste, dass sie und Daniel alles für ihre Liebe riskieren würden, wenn es in den nächsten neun Tagen unvermeidlich war.
    »Es war eine Lehrzeit«, erklärte sie schließlich. »Als ich das erste Mal allein durch den Verkünder getreten bin, war ich bereits entschlossen, den Fluch zu brechen. Aber ich war überwältigt und verwirrt, bis mir allmählich klar wurde, dass ich mit jedem Leben, das ich besuchte, etwas Wichtiges über mich selbst gelernt habe.«
    »Zum Beispiel?« Sie waren so hoch oben, dass die Andeutung der Erdkrümmung am Rand des dunkler werdenden Himmels zu sehen war.
    »Ich habe gelernt, dass es mich nicht umgebracht hat, dich zu küssen, dass es mehr mit dem zu tun hatte, was mir in dem Moment bewusst war, wie viel von mir selbst und meiner Geschichte ich verarbeiten konnte.«
    Sie spürte, dass Daniel hinter ihr nickte. »Das ist für mich immer das größte Rätsel gewesen.«
    »Ich habe gesehen, dass meine früheren Ichs nicht immer nette Leute waren, aber du hast die Seele in ihnen trotzdem geliebt. Und an deinem Beispiel habe ich gelernt, wie ich deine Seele erkennen kann. Du hast … ein bestimmtes Leuchten, eine Helligkeit, und selbst wenn du nicht mehr wie dein körperliches Ich ausgesehen hast, konnte ich in ein neues Leben treten und dich wiedererkennen. Deine Seele hat für mich dann beinahe das Gesicht überlagert, das du in dem jeweiligen Leben gehabt hast. Du warst dein fremdes

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