Engelslicht
einer Stunde in der Warteschleife hängt und seinen Passagieren schon zum fünften Mal sagt, ›Nur noch zehn Minuten‹«, neckte Luce.
Als Daniel nicht antwortete, schaute sie zu ihm auf. Er runzelte verwirrt die Stirn. Er verstand den Vergleich nicht.
»Du hast noch nie in einem Flugzeug gesessen«, sagte sie. »Warum solltest du auch, wenn du fliegen kannst?« Sie deutete auf seine schönen Flügel. »Die ganze Warterei und Rollerei würde dich wahrscheinlich in den Wahnsinn treiben.«
»Ich würde gerne mal mit dir in einem Flugzeug fliegen. Vielleicht machen wir einen Trip auf die Bahamas. Dorthin fliegen die Leute doch, oder?«
»Ja.« Luce schluckte. »Das sollten wir.« Sie musste unwillkürlich daran denken, wie viele unmögliche Dinge auf genau die richtige Weise geschehen mussten, damit sie beide wie ein normales Paar reisen konnten. Es war jetzt zu schwer, über die Zukunft nachzudenken, wo so viel auf dem Spiel stand. Die Zukunft war so verschwommen und fern wie der Boden tief unten – und Luce hoffte, dass sie genauso schön sein würde.
»Wie lange wird es wirklich dauern?«
»Bei dieser Geschwindigkeit vier, vielleicht fünf Stunden.«
»Aber wirst du dich nicht ausruhen müssen? Auftanken?« Luce zuckte die Achseln, immer noch furchtbar unsicher, wie Daniels Körper funktionierte. »Werden deine Arme nicht müde?«
Er kicherte.
»Was?«
»Ich komme gerade vom Himmel geflogen, und Junge, Junge, hab ich müde Arme.« Daniel drückte ihre Taille und neckte sie: »Die Vorstellung, dass meine Arme jemals müde werden, dich zu halten, ist absurd.«
Wie um es zu beweisen, wölbte Daniel den Rücken, hob die Flügel hoch über die Schultern und schlug mit ihnen einmal ganz leicht. Während sie elegant nach oben glitten, um eine Wolke herum, löste er einen Arm von ihrer Taille und demonstrierte, dass er sie auch mit einer Hand gut festhalten konnte. Sein freier Arm bewegte sich nach vorn und Daniel streifte ihre Lippen mit den Fingern und wartete auf ihren Kuss. Als sie ihn gab, legte er ihr den Arm wieder um die Taille und nahm die andere Hand weg, wobei er dramatisch nach links eindrehte. Sie küsste auch diese Hand. Dann legten sich Daniels Schultern eng um ihre und hielten sie so fest, dass er beide Arme von ihr nehmen konnte und sie trotzdem irgendwie in der Luft blieb. Es fühlte sich so köstlich, so ungebunden und voller Freude an, dass Luce zu lachen begann. Er vollführte einen großen Looping. Ihr Haar wehte ihr wild ins Gesicht. Sie hatte keine Angst. Sie flog.
Sie nahm Daniels Hände, als er sie wieder um sie legte. »Es ist irgendwie so, als wären wir dafür geschaffen worden«, meinte sie.
»Ja. Irgendwie.«
Er flog weiter und weiter, ohne zu erlahmen. Sie schossen durch Wolken und freien Himmel, durch kurze, schöne Gewitter, und wurden im nächsten Moment vom Wind getrocknet. Sie passierten transatlantische Flugzeuge mit einer solchen Geschwindigkeit, dass Luce sich vorstellte, wie die Passagiere nichts außer einem hellen, unerwarteten Silberblitz und vielleicht einer sanften Turbulenz bemerkten, die kleine Wellen in ihren Drinks verursachte.
Die Wolken wurden dünner, als sie über dem Meer segelten. Luce konnte das salzige Gewicht seiner Tiefen bis in ihre Höhe spüren, und es roch wie ein Meer von einem anderen Planeten, nicht kalkhaltig wie an der Shoreline und nicht brackig wie zu Hause. Der herrliche Schatten von Daniels Flügeln auf seiner gekräuselten Oberfläche war irgendwie tröstlich, obwohl sie kaum glauben konnte, dass sie ein Teil des Bildes in der aufgewühlten See war.
»Luce?«, fragte Daniel.
»Ja?«
»Wie war es heute Morgen mit deinen Eltern?«
Sie fuhr mit den Augen den Umriss eines einsamen Inselpaares unten in der dunklen, nassen Ebene nach und fragte sich, wo sie waren, wie weit sie von zu Hause entfernt waren.
»Hart«, gab sie zu. »Ich schätze, ich habe mich so gefühlt, wie du dich eine Million Mal gefühlt haben musst. Als sei ich jemandem fern, den ich liebe, weil ich nicht aufrichtig zu ihm sein kann.«
»Das hatte ich befürchtet.«
»In mancher Hinsicht ist es leichter, mit dir und den anderen Engeln zusammen zu sein als mit meinen eigenen Eltern und meiner besten Freundin.«
Daniel dachte einen Moment lang nach. »Ich will nicht, dass es dir so geht. Es sollte nicht so sein. Ich habe mir nie etwas anderes gewünscht, als dich zu lieben.«
»Ich auch. Mehr möchte ich gar nicht.« Aber noch während sie es aussprach und über
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