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Engelslicht

Engelslicht

Titel: Engelslicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Kate
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Sterblichen töten, sagte sie immer wieder zu sich selbst. Aber Luce erinnerte sich auch an Bills Handel mit ihr: Sie hatte einen unsterblichen Teil an sich, der getötet werden konnte. Ihre Seele. Und sie würde sich nicht davon trennen, nicht nach allem, was sie durchgemacht hatte, nicht, da das Ende so nahe war.
    Sie hob das Bein und wollte ihn treten, wie sie es in Kung-Fu-Filmen gesehen hatte, als er plötzlich Pfeil und Bogen über den Rand des Daches warf. Luce riss den Kopf zur Seite, drückte die Wange gegen den kalten Stein und sah, wie die Waffe hinunter auf die funkelnden Weihnachtslichter der Wiener Straßen zu durch die Luft wirbelte.
    Der Engel der Waage rieb sich die Hände an seinem Umhang ab. »Schmutzige Dinger.« Dann packte er Luce grob an den Schultern und riss sie auf die Füße.
    Er trat die Outcast zur Seite – Olianna stöhnte, regte sich aber nicht –, und dort, unter ihrem dünnen Körper, lag der goldene Heiligenschein.
    »Ich dachte mir doch, dass ich das hier finden würde«, sagte der Engel, riss ihn an sich und schob ihn in die Falten seines Umhangs.
    »Nein!« Sie stieß die Hände in den dunklen Ort, wo sie den Heiligenschein hatte verschwinden sehen, aber der Engel schlug ihr ein zweites Mal ins Gesicht, und sie taumelte bis zur Dachkante zurück.
    Sie hielt sich das Gesicht. Ihre Nase blutete.
    »Du bist gefährlicher, als sie denken«, krächzte er. »Man hat uns gesagt, du seist ein mutloser Jammerlappen. Ich sollte dich besser fesseln, bevor wir fliegen.«
    Der Engel schlüpfte schnell aus seinem Umhang und warf ihn ihr wie einen Vorhang über den Kopf, sodass Luce für einen langen, schrecklichen Augenblick nichts mehr sah. Dann war die Wiener Nacht – und der Engel – wieder sichtbar. Luce bemerkte, dass er unter dem Umhang, den er über sie geworfen hatte, einen weiteren identischen Umhang trug. Er bückte sich, und mit einem Zug an einer Kordel zog sich Luces Umhang wie eine Zwangsjacke zusammen. Als sie um sich trat und sich wehrte, spürte sie, wie der Umhang nur noch enger wurde.
    Sie stieß einen Schrei aus. »Daniel!«
    »Er wird dich nicht hören«, kicherte der Engel freudlos, während er sie sich unter den Arm klemmte und an den Rand des Daches trat. »Er wird dich nicht hören, auch wenn du ewig schreist.«

Sieben
    Engelsknoten

    Der Umhang war lähmend.
    Je mehr Luce sich wand, umso mehr zog er sich zusammen. Der raue Stoff wurde von einem seltsamen Seil gesichert, das ihr in die Haut schnitt und sie an jeder Bewegung hinderte. Wenn Luce dagegen ankämpfte, reagierte das Seil, es spannte sich fester um ihre Schultern und drückte ihr die Rippen zusammen, bis sie kaum mehr atmen konnte.
    Der Engel der Waage hielt Luce unter seinem knochigen Arm fest, während er durch den Nachthimmel flog. Das Gesicht in dem stinkenden Umhang begraben, konnte sie nichts sehen, konnte nur den Wind spüren, der über ihren elenden, schimmligen Kokon peitschte. Sie hörte nichts als das Heulen des Windes, durchdrungen vom Schlagen steifer Flügel.
    Wohin brachte er sie? Wie konnte sie Daniel verständigen? Sie hatten keine Zeit für so etwas!
    Nach einer Weile hörte es auf zu stürmen, aber der Waage-Engel landete nicht.
    Er und Luce schwebten in der Luft.
    Dann stieß der Engel ein Brüllen aus. »Eindringling!«, bellte er.
    Luce spürte, dass sie beide fielen, aber sie konnte nur die schwarzen Falten des Umhangs ihres Häschers sehen, die ihre Entsetzensschreie dämpften – bis selbst die Schreie in dem Geräusch von zerbrechendem Glas verstummten.
    Dünne rasiermesserscharfe Splitter schlitzten ihren eng geschnürten Umhang und den Stoff ihrer Jeans auf. Ihre Beine brannten, als hätte sie tausend Schnittwunden.
    Als die Füße des Engels auf den Boden eines Ganges krachten, wurde Luce von dem Aufprall kräftig durchgeschüttelt. Dann ließ er sie grob fallen und sie landete auf Hüfte und Schulter. Sie rollte einige Schritte weit, bis sie liegen blieb. Neben sich sah sie eine lange hölzerne Werkbank, auf der sich Bruchstücke von verblasstem Tuch und Porzellan stapelten. Sie wälzte sich darunter, um vorübergehend Schutz zu finden, und schaffte es beinahe zu verhindern, dass der Umhang sich noch enger um sie zusammenzog. Er hatte angefangen, sich um ihre Luftröhre zu schließen.
    Aber jetzt konnte sie wenigstens etwas sehen.
    Sie war in einem kalten, höhlenartigen Raum. Der Boden unter ihr war ein glänzendes Mosaik aus dreieckigen roten und grauen Kacheln. Die Wände

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