Engelslicht
blinzelte.
Annabelle küsste die Frau auf die blassen Wangen. »Ich habe dich nicht mehr gesehen seit dem Bauernaufstand in Nottingham … wann war das? So um 1380 herum?«
»So lange ist es doch bestimmt nicht her«, erwiderte die Frau höflich in dem gleichen freundlichen Bibliothekarinnen-Singsang wie an der Sword & Cross, als sie Luce mit einer List dazu gebracht hatte, sie zu mögen. »Eine schöne Zeit.«
»Ich habe Sie auch schon eine Weile nicht mehr gesehen«, sagte Luce hitzig. Sie riss sich von Daniel los und hob wieder das Schüreisen, wobei sie sich wünschte, es wäre eine tödlichere Waffe. »Nicht mehr, seit Sie meine Freundin ermordet haben …«
»Ach herrje.« Die Frau zuckte mit keiner Wimper. Sie sah Luce an und legte sich einen schlanken Finger an die Lippen. »Da muss es sich wohl um eine Verwechslung handeln.«
Roland trat vor und stellte sich zwischen Luce und Miss Sophia. »Es ist nur so, dass Sie wie jemand anders aussehen.« Seine ruhige Hand auf ihrer Schulter ließ Luce innehalten.
»Wie meinen Sie das?«, fragte die Frau.
»Oh, natürlich!« Daniel lächelte Luce traurig an. »Du dachtest, sie sei – wir hätten dir sagen sollen, dass Transhimmlische einander oft ähnlich sehen.«
»Du meinst, sie ist nicht Miss Sophia?«
»Sophia Bliss?« Die Frau sah aus, als hätte sie gerade in eine Zitrone gebissen. »Lebt dieses Miststück immer noch? Ich war mir sicher, dass sie inzwischen jemand von ihrem Elend erlöst hätte.« Sie rümpfte ihre kleine Nase und sah Luce mit einem Achselzucken an. »Sie ist meine Schwester, daher kann ich nur einem kleinen Prozentsatz des Zorns auf dieses widerwärtige Frauenzimmer, den ich im Laufe der Jahre entwickelt habe, Luft machen.«
Luce lachte nervös. Der Schürhaken glitt ihr aus den Fingern und landete auf dem Boden. Sie musterte die ältere Frau, entdeckte Ähnlichkeiten mit Miss Sophia – ein Gesicht, das alt und jung zugleich wirkte – und Unterschiede. Verglichen mit Sophias schwarzen Augen sahen die kleinen Augen dieser Frau beinahe golden aus, was durch den ähnlichen gelben Ton ihrer Strickjacke noch unterstrichen wurde.
Die Szene mit dem Schürhaken war Luce peinlich. Sie lehnte sich an die gewölbte Ziegelsteinmauer und sank zu Boden, unsicher, ob sie erleichtert oder nicht darüber war, dass sie Miss Sophia nicht erneut gegenübertreten musste. »Es tut mir leid.«
»Keine Sorge, Liebes«, sagte die Frau vergnügt. »An dem Tag, an dem ich Sophia wiedersehe, nehme ich mir den nächstbesten schweren Gegenstand, und dann mache ich sie fertig.«
Arriane streckte eine Hand aus, um Luce aufzuhelfen, und zog so heftig, dass ihre Füße sich vom Boden abhoben. »Dee ist eine alte Freundin. Und ein erstklassiges Partytier, wenn ich das hinzufügen darf. Hat den Stoffwechsel eines Esels. In der Nacht, in der sie Saladin verführt hat, hätte sie fast die Kreuzzüge beendet.«
»Ach, Unsinn!«, sagte Dee und wedelte wegwerfend mit der Hand.
»Und sie ist die beste Geschichtenerzählerin«, fügte Annabelle hinzu. »Oder sie war es, bevor sie vom Antlitz der Erde verschwunden ist. Wo hast du dich so lange versteckt?«
Die Frau holte tief Luft und ihre goldenen Augen wurden feucht. »Ich habe mich verliebt.«
»Oh, Dee!«, gurrte Annabelle und nahm die Hand der Frau. »Wie wunderbar.«
»Otto Z. Otto.« Die Frau schniefte. »Möge er in Frieden …«
»Dr. Otto.« Daniel trat aus der Tür. »Sie haben Dr. Otto gekannt?«
»In- und auswendig.« Die rätselhafte Dame zog die Nase hoch.
»Ups, meine Manieren!«, murmelte Arriane. »Wir müssen uns miteinander bekannt machen. Daniel, Roland, ich glaube nicht, dass ihr unsere Freundin Dee jemals offiziell kennengelernt habt …«
»Sehr angenehm. Ich bin Paula Serenity Bisenger.« Die Frau lächelte, betupfte sich die feuchten Augen mit einem Spitzentaschentuch und gab zuerst Daniel, dann Roland die Hand.
»Ms Bisenger«, sagte Roland, »darf ich fragen, warum die Mädchen Sie Dee nennen?«
»Nur ein alter Spitzname, mein Lieber«, antwortete die Frau mit der Art von kryptischem Lächeln, die Rolands Spezialität war. Als sie sich zu Luce umdrehte, leuchteten ihre goldenen Augen auf.
»Ah, Lucinda.« Anstatt ihr die Hand zu reichen, breitete Dee die Arme aus, aber Luce kam sich komisch vor, die Umarmung zu akzeptieren. »Ich entschuldige mich für die unglückliche Ähnlichkeit, die dir einen solchen Schrecken eingejagt hat. Ich muss sagen, dass meine Schwester aussieht wie ich,
Weitere Kostenlose Bücher