Engelslied
Faustschlägen prasselte auf seine Schultern ein, Elenas Augen ruhten starr auf dem dunkelroten Mal an seiner Schläfe.
»Aber ich gehe nicht fort.« Endlich wusste er, welche Ängste sie bis in den Traum verfolgt hatten.
»Das kannst du doch gar nicht wissen! Wir wissen überhaupt nicht, was hier passiert!« Ihre Finger tasteten seine Schläfe ab. »Du lässt den Zauber fallen – und ich sehe, dass sich der Fleck schon wieder weiter ausgebreitet hat. Muss sehen, wie viel von deiner Haut er schon bedeckt.«
»Ich werde nicht sterben!« Raphael musste sich zusammenreißen, er durfte seine Rage nicht gegen Elena richten. Und er war eigentlich gar nicht zornig auf seine Gemahlin, er war wütend auf die, die ihr das angetan hatten, die in ihrem Herzen solche Furcht hatten wachsen lassen. Sinnlos, Elena seinen Zorn spüren zu lassen, sinnlos, ihn überhaupt deutlich werden zu lassen: Marguerite Deveraux konnte er schließlich nicht mehr treffen. »Ich bin ein Erzengel.«
Elenas Busen wogte, ihre Wangen waren knallrot geworden. »Deine Arroganz hilft mir nicht weiter.«
»Das ist keine Arroganz, das ist die Realität.« Er sah sie fest an, wollte, dass sie ihn trotz ihrer Wut hörte und verstand. »Es gibt auf der Welt nur sehr, sehr wenige Dinge, die einen Erzengel töten können, und Krankheiten gehören nicht dazu. In unserer ganzen Geschichte ist nie ein Erzengel einer Krankheit erlegen.«
»Auch Vampire dürften eigentlich nicht an Krankheiten sterben«, feuerte sie zurück, aber als sie erneut das Mal an seiner Schläfe berührte, geschah das sehr sanft. »Wenn ich das hier sehe, überfällt mich jedes Mal große Angst. Ich dachte, ich hätte mich im Griff, aber da ist diese Faust aus Eis um mein Herz, die will einfach nicht locker lassen. Ich kann dann nicht atmen, nicht denken.«
Ein Gedanke, und der Fleck war weg, durch einen kleinen Zauber verschwunden.
»Nicht! Du darfst nichts vor mir verstecken!« Kaum hatte Elena die Worte ausgesprochen, als ihr auch schon klar wurde, was sie da gesagt hatte. Verzweifelt sah sie hoch, in die Augen, die so blau waren, dass nichts auf der Welt ihnen glich.
Raphael war immer noch aufgebracht, das ließ sich nicht übersehen, lag doch ein eisiger Glanz in dem herzzerreißenden Blau. Trotzdem hielt er sie fest, sorgte sich um sie. Und das, nachdem sie alles versucht hatte, sich bei ihrem halsbrecherischen Flug sämtliche Knochen im Leib zu zerschmettern.
Nicht nur dies eine Mal.
»Mist!«, flüsterte sie. Im Gesicht vor ihr hob sich gebieterisch eine Braue. »Es tut mir leid.« Ihre Ausbilder bei der Gilde hätten ihr den Hintern versohlt, hätte sie als Schülerin damals ein so hirnrissiges Unternehmen gestartet. »Ich kann es nicht fassen, dass ich jetzt schon zum zweiten Mal solchen Mist baue.«
»Wird es ein drittes Mal geben?« Die Frage kam wie ein Peitschenhieb.
»Nein. Aus zwei fast tödlichen Fehlern lernt selbst eine solch begriffsstutzige Jägerin wie ich.« Sonst wäre sie schon vor Jahren ums Leben gekommen. »Danke für deine Hilfe.«
»Schön zu wissen, dass ich manchmal zu etwas nütze bin.« Raphaels Stimme war so kalt – ein Wunder, dass Elena nicht schon längst an Unterkühlung litt.
»Komm schon, das eben war nicht fair.« Sie mochte sich aufgeführt haben wie die letzte Idiotin, aber das gab ihm noch lange nicht das Recht, jetzt gnadenlos darauf herumzureiten. »Ich war noch nie in meinem ganzen Erwachsenenleben derart mit jemandem verflochten.«
»Und das macht dir Angst.«
Elena stockte der Atem. Sie wollte heftig leugnen, ihm unter die Nase reiben, dass sie schließlich geborene Jägerin war und Furcht nur als Werkzeug kannte. Aber das ging nicht, Stattdessen nickte sie hilflos. Weil er ja recht hatte und weil ihr diese Angst die Luft abschnürte. »Seit damals, als ich feststellen musste, dass sich ein Monster in unserem Haus befand, habe ich nicht mehr so viel Angst gehabt.«
»Und glaubst du denn, ich verstünde das nicht?« In Raphaels Körper war jeder einzelne Muskel angespannt, so sehr kämpfte er gegen heftige Emotionen an. »Hast du vergessen, was ich einmal zu dir sagte?«
Ehe du kamst, kannte ich keine Furcht, Elena. Nutze diese Macht weise.
Sie schüttelte den Kopf und schlang ihre Arme fest um seinen Hals. »Nein, das habe ich nicht vergessen.« Sie küsste ihn, flüsterte: »Als du dich wie der letzte Höhlenmensch aufgeführt hast, hatte ich Nachsicht mit dir. Hab doch jetzt ein bisschen Nachsicht mit mir.«
»Als ich
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