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Engelslied

Engelslied

Titel: Engelslied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nalini Singh
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Stirn und wollte den Kopf schütteln, aber er packte sie mit festem Griff am Kinn. »Nein, Elena, wir dürfen uns nichts vormachen. Ich muss mich den Tatsachen stellen. In mir wohnt mehr Macht, mehr Kraft als je in einem Engel meines Alters. Solche Macht verändert jeden. Sie hat auch mich verändert.«
    »Mag sein, aber etwas anderes ist auch wahr: Du bist nicht mehr der Erzengel, den ich damals kennenlernte.« Elena hatte die Hände in seinen Haaren vergraben und sah ihn an, diesen entschiedenen Ausdruck in den Augen, den er allzu genau kannte. »Du entwickelst dich erst noch. Und im Gegensatz zu Lijuan hast du keine Angst davor, Risiken einzugehen. Sie ist ein Feigling, sie hat den Sterblichen umgebracht, der ihr gezeigt hat, was Gefühle sind. Du hast mich zu deiner Gemahlin gemacht.« Sie zog seinen Kopf zu sich herunter, um an seiner Unterlippe zu knabbern. »Wag es bloß nicht, dich mit ihr zu vergleichen.«
    »Ganz, wie meine Gemahlin befiehlt!« Raphael küsste sie, überließ seinen Körper dem seidigen Gefängnis ihrer Beine. »Ich weiß ja, du würdest mir nie gestatten, ein wahnsinniger Tyrann zu werden, der sich einbildet, eine Gottheit zu sein.«
    »Dann wäre das ja geklärt.« Sie rieb ihre Nase an seiner, eine zutrauliche, liebevolle Geste, über die er sich immer freuen würde, und sollte er hunderttausend Jahre alt werden. »Da wo wir waren – das war ein Ort der Kraft, nicht wahr?«
    »Ja.« Die Kraft hatte das Wasser durchdrungen, war Teil der Dunkelheit gewesen, Teil jedes Lebewesens, das in den tiefen Gewässern schwamm. »Sie ist nicht bösartig, und sie ist auf mich abgestimmt, liegt aber außerhalb meiner Reichweite.« Diese Erkenntnisse hatte er während des Blutsturms gewonnen. Der Traum bestärkte sie nur noch.
    »Das nervt.«
    Was für eine lakonische Umschreibung der Wut und Frustration, die Raphael empfand! Der Erzengel lächelte. »Und wie.« Er küsste Elena noch einmal, ehe er sich aufrichtete, um sich auf die Bettkante zu setzen. »Schlaf. Es ist noch früh, und du musst ruhen. Ich werde meine Jägerin in den kommenden Tagen mehr brauchen denn je.«
    Elena packte ihn am Handgelenk. »Wie schlimm steht es, Erzengel?« Sie stellte diese Frage als Gemahlin, und die Antwort, die sie erhielt, hätte Raphael niemandem sonst im Turm so gegeben. Nicht einmal seinen Sieben.
    »Meine Männer und Frauen sind mir treu ergeben und werden bis zum bitteren und blutigen Ende kämpfen.« Auf seinen Schultern lastete das Gewicht erschütternd vieler Leben. »Aber ich fürchte, ich führe sie in den sicheren Tod.«
    Elena richtete sich auf, kniete sich hin, schlang die Arme um ihn. »Keiner dieser Männer, keine dieser Frauen würde Lijuan dienen wollen, das weißt du auch.« Das hatte Elena in den langen Stunden auf der Krankenstation gelernt, bei ihren vielen Gesprächen mit den Verwundeten und den Soldaten, die gekommen waren, um ihre verletzten Kameraden zu besuchen. Sie presste ihre Lippen auf das Mal an Raphaels Schläfe. »Unsere Leute würden lieber ehrenhaft im Kampf gegen das Böse sterben, als sich unter der Knute des Bösen zu ducken.«
    Raphael holte lang und tief Atem. Er richtete sich sehr gerade auf. »Die Unsrigen wird nie jemand unterwerfen«, schwor er. »Wir ergeben uns nicht.«

40
    Fünf Stunden nach Tagesanbruch kam Raphaels Meisterspion zurück, um zu melden, dass Lijuans Truppen die Frühwarngrenze überflogen hatten. Ein einziger Befehl und Raphaels Angriffsschwadronen formierten sich um ihn herum. Der Verteidigungsring um den Turm war fest geschlossen und auf alles vorbereitet, als er die Schwadronen über die Stadt hinweg bis über das Meer führte.
    Als sie eine Stelle erreicht hatten, von der aus seine Leute die herannahende Armee sehen, gleichzeitig aber auch jederzeit den Verteidigungsring erreichen konnten, wenn sie hart und schnell flogen, befahl Raphael den Kommandanten, haltzumachen.
    Er ließ die Schwadronen in Kampfformation auf der Stelle schweben, während er selbst weiterflog, um sich zwischen den beiden Armeen mit Lijuan zu treffen. Damit ging er ein großes Risiko ein, verfiel seine Gegnerin doch mehr und mehr dem Wahnsinn, aber er glaubte immer noch, dass ein Teil von ihr nach wie vor ein Erzengel der alten Schule war. Eine Annahme, die sich als berechtigt erwies: Kaum hatte sich Raphael von seiner Formation gelöst, als der Erzengel von China sich ebenfalls allein auf den Weg machte. Damit hielt sie sich an eine der Regeln für Schlachten, die seit

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