Engelslied
Überwachungskameras?«
Marcia präsentierte das Foto einer dünnen jungen Frau mit strähnigen braunen Haaren. Die Cafébesitzerin war intelligent und dachte mit, sie hatte sich vorbereitet. »Ihr Blut wurde von den Turmmitarbeitern als schlecht markiert.« Marcia riss sich zusammen, aber die Hand, die das Foto hielt, zitterte heftig.
Elena nahm ihr das Bild ab, ehe es auf den Boden fallen konnte. »Bist du sicher?«
Kaum hatte Marcia die Hände wieder frei, als sie sie auch schon hinter dem Rücken versteckte. Sie nickte. »Ich habe mir bei jeder Spende die Uhrzeit notiert und aus dem Material der Überwachungskamera ein Standbild ausgedruckt, sobald der Spender gegangen war.«
»Gibt es noch etwas, was wir wissen sollten?«
Wieder musste sich Marcia sichtlich einen Ruck geben, um antworten zu können. »Ich nehme immer auch kranke Spender an, denn die brauchen das Geld oft dringend und Blut ist schließlich Blut. Normalerweise!« Auf ihrer Stirn bildeten sich Schweißtropfen. »Aber sie – sie sah halb tot aus. Viel kränker, als ich sie vom letzten Mal in Erinnerung hatte.«
Gut möglich, dass die Frau gar nicht die eigentliche Infektionsträgerin war, sondern einfach nur jemand, der länger mit der Krankheit leben konnte als andere. »Kannst du genau sagen, wann sie das letzte Mal gespendet hat? Vor heute Morgen, meine ich.«
»Es tut mir wirklich leid, Gemahlin.« Marcia klapperten vor Angst die Zähne. »Bei uns darf man anonym spenden, ich kann also nur sagen, dass es innerhalb der letzten Woche geschah.«
Elena schickte die Cafébesitzerin zurück in ihr Büro, ehe sie womöglich noch einen Herzinfarkt bekam. »Ich hoffe, du knöpfst dir den Schweinehund vor, der ihr das angetan hat«, wandte sie sich an Raphael. »Ich hoffe, du jagst ihm eine Höllenangst ein, denn wenn du das nicht machst, suche ich ihn höchstpersönlich, peitsche ihn aus, bis das Blut in Strömen fließt, und schneide ihm die Eier ab.«
»Eine sehr treffende Art der Bestrafung. Ich werde mich haargenau an deine Vorgaben halten.«
Gut! Elena bereute nicht eine Sekunde, einem ihr unbekannten Engel ein schweres Schicksal beschert zu haben, im Gegenteil: Raphaels Worte halfen ihr, ihre Wut im Zaum zu halten. Sie reichte die Standfotos an Raphael weiter, sah kurz nach, ob die Luft rein war, und ging hinüber zu der Tür, die die Blutspender benutzten. Dort überfiel sie der reinste Karneval an Gerüchen, was kaum verwunderlich war, trieben sich doch in dem Gebäude und um das Gebäude herum jede Menge Vampire herum, aber die Vielfalt an Gerüchen war nicht Elenas eigentliches Problem. Sie war eine auf Vampire abgerichtete Bluthündin, die Spenderin, um die es hier ging, jedoch ein Mensch – das machte die Suche so schwierig.
Andererseits trug die Spenderin die tödliche Krankheit im Blut, und die hatte Elena in den infizierten Flaschen riechen können. Möglicherweise hatte die Krankheit die chemische Zusammensetzung des Blutes der Spenderin so verändert, dass die Jägerin in der Lage sein würde, die Spur der Frau aufzunehmen.
Diese Marcia ist wirklich ein nützliches Wesen,
meldete sich kurz darauf Raphaels Stimme in ihrem Kopf.
Sie hat das Foto der Spenderin per E-Mail an den Turm weitergeleitet, sobald der Alarm ausgelöst war. Aodhan kümmert sich bereits darum. Über die besten Kontakte zu Menschen und Vampiren in dieser Gegend dürfte allerdings eher Ransom Winterwolf verfügen.
Elena unterbrach ihre Arbeit, um aufzusehen. Raphael stand neben ihr, hielt den Blick seiner so schmerzhaft blauen Augen unverwandt auf sie gerichtet. Diese ungewöhnlich reinen Augen, die so außergewöhnlich todbringend zu blicken vermochten …
Wenn ich Ransom hinzuziehe …,
sie behielt die mentale Verbindung bei, weil gesprochene Worte ebenfalls von der Überwachungskamera aufgezeichnet werden würden, …
und er findet Dinge heraus, die ein Sterblicher nicht wissen darf, dann musst du seine Erinnerungen säubern.
Du kennst unsere Gesetze, Elena.
Eben.
Raphael um eine Sonderbehandlung für Ransom zu bitten ging nicht an, schon gar nicht, wenn sie an die Strafe dachte, die Illium hatte erleiden müssen. Ihr Erzengel hatte sich schon sehr weit aus dem Fenster gelehnt, als er Sara damals den Zutritt zur Zufluchtsstätte gestattet hatte, war weit über das eigentlich Erlaubte hinausgegangen. Elena selbst musste Grenzen ziehen, wenn sie ihre Freunde beschützen wollte. Selbst wenn dies bedeutete, dass ihre Freunde nicht länger Teil ihres
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