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Engelslied

Engelslied

Titel: Engelslied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nalini Singh
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geschützt, der aber heute zu fehlen schien. Raphael und Elena konnten direkt auf die Stadt zuhalten und landeten ein Stück von ihr entfernt. Elena faltete die Flügel zusammen, ehe ein Blick aus den wilden, blauen Augen ihres Erzengels sie auf die alten Stadtmauern schauen ließ, über die ein Vampir rannte.
    Auf Elenas Gildeausweis stand
Jagdschein für Vampire und andere Wesen.
Dasselbe stand auch schon auf den uralten, vergilbten und brüchig gewordenen Ausweisen, die man gerahmt in der Bibliothek des Hauptquartiers bewundern konnte. Komisch war nur, dass mit Ausnahme von Elenas Jagd auf Uram kein Gildejäger je etwas anderes gejagt hatte als Vampire.
    Bisher hatte Elena immer angenommen, der Zusatz »und andere Wesen« diene der Absicherung bei Ausnahmefällen, bei denen sie sich bei der Jagd mit Menschen befassen mussten, die irgendwie etwas mit dem jeweils gesuchten Vampir zu tun hatten. Diese Interpretation war ihr immer logisch erschienen. Welche anderen Wesen sollten denn sonst gemeint sein?
    Jetzt aber, als sie Naasir zusah, der so geschmeidig und anmutig die hohe Stadtmauer entlanglief, jede Bewegung so fließend, als hätte er nicht einen Knochen im Leib, kamen ihr zum ersten Mal Zweifel an ihrer bisherigen Sichtweise. »Was ist er eigentlich, dieser Naasir?«, erkundigte sie sich bei Raphael. Sie besuchte Amanat heute nicht zum ersten Mal, aber bisher hatte sie mit diesem Mitglied der Sieben nur wenig direkten Kontakt gehabt.
    Raphael warf ihr einen eindeutig belustigten Blick zu. »Naasir ist einer meiner Sieben.«
    »Raphael!«
    »Was glaubst du denn, was er ist?«
    »Ein Tiger auf der Jagd! So habe ich seinen Geruch bei unserer ersten Begegnung eingeordnet, und bisher habe ich meine Meinung noch nicht geändert.« Eben stieg Naasir von der hohen Mauer, als sei damit keine gefährliche Kletterei verbunden. Wer ihm zusah, hätte der Meinung sein können, er befände sich auf einem Sonntagsspaziergang. »Er mag ja gebildet und kultiviert klingen, wenn er den Mund aufmacht, aber im Grunde hat er etwas unglaublich Wildes an sich. Anders als die Wildheit, die ich bei Venom spüre … vielleicht nur tiefer sitzend … ich weiß auch nicht.«
    Wieder musste Raphael lächeln – sie sah aber auch zu niedlich aus, wenn sie ärgerlich wurde. Und es machte sie ärgerlich, sich auf Naasir so gar keinen Reim machen zu können. »Ich lasse es erst einmal dabei: Das Geheimnis Naasir sollst du selbst lüften. Ich will doch nicht, dass sich meine Gemahlin in der Unsterblichkeit langweilt.«
    Elena stieß ein verächtliches Schnauben aus – dabei fand sie die Herausforderung eigentlich ganz spannend.
    Inzwischen hatte der Vampir die beiden erreicht und verneigte sich knapp, aber höflich. »Sire.« Augen aus reinem Silber, metallen glänzend, in einem Gesicht, dessen sattbraune Haut man am liebsten gestreichelt hätte. »Gemahlin.« Wie immer fiel die Begrüßung formvollendet aus, ganz wie sie im Buche stand, und dennoch konnte sich Elena auch jetzt nicht des Gefühls erwehren, dass ihr Gegenüber in jeder anderen Situation in ihr eine Beute gesehen hätte.
    Elena erwiderte den Gruß, wobei sie tapfer der Versuchung widerstand, die eine oder andere Waffe zu zücken. Naasir hatte sich die Haare abgeschnitten. Bei ihrer letzten Begegnung waren sie ihm weich in den Nacken gefallen, jetzt berührten sie gerade so eben den Nackenansatz. Er schien sie sich selbst geschnitten zu haben, die silbernen Wellen fielen unregelmäßig um sein Gesicht, wirkten aber immer noch so, als wären sie lebendig.
    Die Haarfarbe des Vampirs zu beschreiben wäre Elena nicht leichtgefallen. Grau war sie nicht, war kein Zeichen des Alters. Naasir schien echtes Silber auf dem Kopf zu tragen. Nahm man sich eine Strähne davon und knüpfte ein Halsband daraus, würden sicher alle meinen, es sei aus kostbarem Metall. Aber wenn ihm der Wind ins Haar fuhr, zeigte es sich, wie weich und fein es war, von Metall keine Spur. Bis die Bö vorbei war und die Haare wieder wie eine Metallkappe um Naasirs Kopf lagen.
    Ein Tiger mit Silberaugen.
    Einmal hatte sie ihn über den Hals einer Engelsfrau gebeugt gesehen, die sich in sexueller Ekstase gewunden hatte. Seine Hand hatte sich in ihrem Haar vergraben, seine Fangzähne waren nass von ihrem Blut gewesen. Bis zu jenem Moment hatte sie nicht gewusst, dass Vampire auch bei Engeln trinken durften. Aber Naasir war eben kein gewöhnlicher Vampir. Wenn er denn überhaupt ein Vampir war.

21
    »Nein, Naasir«,

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