Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engelslied

Engelslied

Titel: Engelslied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nalini Singh
Vom Netzwerk:
traten auf Glockenblumen – aber kaum war sie vorbeigegangen, da richteten sich die Blumen wieder auf, als sei nichts geschehen. Eine wirklich beeindruckende Zurschaustellung von Macht, dachte Elena. Umso mehr, als sich die Frau dessen gar nicht bewusst schien, hatte sie doch für nichts anderes Augen als für Raphael.
    Als dieser sich bückte, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben, entdeckte Elena Tränen in Calianes Augen. »Komm!« Die Uralte griff nach dem Arm ihres Sohnes. »Lass dir zeigen, wie sehr meine Stadt seit unserer letzten Begegnung gewachsen ist.«
    »Mutter.« Raphaels Stimme klang ruhig, aber fest wie Stahl. »Du hast meine Gemahlin nicht begrüßt.«
    »Gildejägerin.«
    Müsste sich jetzt nicht Frost auf die Blumen legen? Die Begrüßung war eisig genug ausgefallen.
Meintest du nicht gerade, sie wäre nie unhöflich?
Elena versank in dem anmutigen Hofknicks, den Illium ihr beigebracht hatte.
    Du scheinst ein Spezialfall zu sein.
    Elena musste sich ein Lachen verkneifen. Sie ließ Caliane und Raphael vorgehen und reihte sich neben Naasir ein. Diese Geschichte musste sie unbedingt Sara erzählen, ihre Freundin fand ihre »Schwiegermutterprobleme« zum Totlachen. Elena hatte nie mit einer Schwiegermutter gerechnet, wie denn auch? Sie hatte sich nie vorstellen können, einem Mann genug zu vertrauen, um ihr Leben mit dem seinen zu verbinden – und seine Mutter kennenzulernen. Diese unvorhergesehenen Entwicklungen mit Sara zu besprechen hatte, fand Elena, irgendwie etwas Läuterndes.
    »Gemahlin?« Naasirs Stimme klang samtweich wie immer, und wie immer hatte Elena das Gefühl, sie könnte sich ohne Vorwarnung in angriffslustiges Knurren verwandeln. »Der Sire sagt, ich soll Ihnen etwas zeigen.«
    Sie verstand diesen Naasir einfach nicht, war unfähig, ihn zu durchschauen, sein Verhalten zu deuten. Es war wirklich so, als spräche man mit einem großen Raubtier, das sich noch nicht entschieden hatte, ob es einen fressen will oder lieber doch nicht. Als es Elena allzu sehr in den Fingern juckte, gab sie nach und zückte ein Messer, um es spielerisch durch die Finger gleiten zu lassen wie eine verdammte Schmusedecke. »Was denn?«
    »Hier entlang.« Er deutete auf einen sehr schmalen Durchgang zu ihrer Linken.
    Raphael? Ich begebe mich mit einem Vampir, der kein Vampir ist, in unbekannte Gefilde.
    Er beißt nur nach Vorwarnung. Hat er fest versprochen.
    Oh ja, Raphael würde einiges büßen müssen! Resigniert folgte sie dem silberäugigen Wesen, das weiterhin all ihren Sinnen zu einem besorgniserregenden Kribbeln verhalf und wesentliche Teile ihres Hirns Fluchtpläne schmieden ließ. »Darf ich etwas fragen?«
    Keine Antwort. Überhaupt keine Reaktion.
    Gut, keine Antwort musste nicht unbedingt nein bedeuten. »Wer hat Sie erschaffen?« Venom, schnell wie eine Schlange, mit den Augen einer Viper, war von der Königin der Gifte und Schlangen erschaffen worden. Vielleicht hatte Naasir eine ähnliche Geschichte, vielleicht spiegelte auch er die Eigenschaften dessen wider, der ihn zum Vampir gemacht hatte. Falls er überhaupt erschaffen worden war und kein ganz und gar unbekanntes Wesen …
    »Ein schon vor Langem verstorbener Engel, der meinte, mich besitzen zu können«, lautete die geheimnisvolle Antwort. Das Silber in Naasirs Augen schien fast flüssig zu sein. »Ich habe ihm die Kehle herausgerissen. Anschließend verzehrte ich seine Leber und sein Herz. Die anderen inneren Organe sind nicht so wohlschmeckend, die überließ ich anderen Wesen.«
    Elena packte den Griff ihres Messers fester – allerdings trug auch Naasir solche Waffen, und zwar ebenfalls in Futteralen, die er sich um die Arme gebunden hatte. »Und Sie leben noch? Ich hätte nicht gedacht, dass ein Vampir weiterleben darf, wenn er einen Engel tötet.«
    »Wer sagt denn, dass ich ihn getötet habe?« Ein langsames, wildes Grinsen schlich sich in das schöne Gesicht.
    Elena standen inzwischen sämtliche Haare zu Berge, und in ihrem Hinterkopf flehte sie der Instinkt, der wohl schon ihre Vorfahren vor Säbelzahntigern und Ähnlichem gerettet hatte, verzweifelt an, sich so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen.
    Nur hatten sie wohl offensichtlich gerade ihr Ziel erreicht, einen alten Tempel, der noch nicht wieder instand gesetzt worden war. Teile des Gebäudes waren eingestürzt, auf den alten Steinen wucherten Ranken mit kleinen, sternförmigen blauen und weißen Blüten. Aber die Treppe zum Tempeleingang stand noch, und genau

Weitere Kostenlose Bücher