Engelslieder
um nicht die Kontrolle über sie zu verlieren.
Allmählich wurde es dunkel. Es war viel zu spät, um den anstrengenden Aufstieg zum Gipfel anzutreten. Sie und Ben würden im Wagen schlafen und noch in der Morgendämmerung aufbrechen.
Sarah versorgte Ben und Autumn mit Decken und Käsebroten. Nachdem die beiden Riker versprochen hatten, später eine offizielle Aussage beim FBI zu machen, überließen sie die Mädchen und Rachael – offenbar Ehefrau Nummer eins – der Polizei. Nun hieß es Beweise sammeln – für Kindesentführung in zwei Fällen und sexuellen Missbrauch einer Minderjährigen.
Autumn lehnte sich im Autositz zurück, während Ben das Steuer übernahm. Die Fahrt zum Startpunkt ihrer Wanderung schien sich auf der kurvigen Straße durch den pechschwarzen Wald bis hoch zum Ende der Straße ewig hinzuziehen. Dort parkten sie, rollten sich auf der vollgepackten Rückbank des Geländewagens zusammen und zogen die geborgten Decken bis zum Hals, um sich ein wenig zu wärmen.
Beide schliefen schlecht, vielleicht ein, zwei Stunden, wachten immer wieder auf. Sie waren zu angespannt, um Schlaf zu finden, zu besorgt. Doch der Aufstieg würde schon bei Tageslicht schwierig genug werden, und sie durften nichts riskieren.
Es stand zu viel auf dem Spiel.
Als am Horizont das erste lilagraue Morgenlicht durchsickerte, schnallten sie sich die Ausrüstung auf den Rücken und machten sich auf den Weg. Die Wanderung bis zum ersten Felssockel würden sie im schwachen Dämmerlicht zurücklegen. Im Gepäck hatten sie zwei Längen Seil und die Geräte, die sie für die Vorstiegroute brauchen würden: Gurte, mechanische Klemmgeräte, Karabiner, Chalkbags, Helme und was sich sonst noch als nützlich erweisen könnte. Autumn hatte außerdem ein leichtes Fernglas dabei und Ben seine automatische Springfield.
Falls sich Eli Beecher als genauso unbarmherzig herausstellen sollte wie seine Brüder, wäre es gut, eine Waffe zu haben, fand Ben.
Sie bewegten sich flink über den schmalen Weg, der auf weiten Strecken von dicht wucherndem Gebüsch verdunkelt wurde, und legten die vier Kilometer bis zum Fuß des Berges in Rekordzeit zurück. Die Sonne hatte gerade die hohen Gipfel im Osten erreicht – ein dünner, gelber Streifen, in dem sich schnell eine glühende Kugel zeigte. Der Boden war noch feucht, die Felsen rutschig, und Morgentau lag auf den Blättern der Bodenpflanzen. Doch da das Gefälle noch nicht so steil war, fanden sie guten Halt.
Angel’s Peak selbst – ein alter Vulkan – erhob sich hoch in den Himmel. Da er weit ab von den Touristenpfaden lag, gehörte er nicht zu den viel besuchten Ausflugszielen. Ein Teil des ihn umgebenden Landes war Wald, der sich in Staatsbesitz befand, ein anderer gehörte dem Bureau of Land Management, dem Landverwaltungsamt. Daneben gab es einige private Parzellen, die ihren Anfang um 1870 als Goldgruben genommen hatten.
Autumn nahm an, dass die Blockhütte hoch oben im Berg einst das Basislager eines Goldjägers gewesen war, der gehofft hatte, ein Vermögen zu machen.
Sie hielt einen Moment inne, als sie die Gurte anlegten. Das frühe Morgenlicht in den Bergen war einfach unglaublich. Es beleuchtete den Horizont und verlieh den massiven Gipfeln ein Leuchten, das sie wie verzaubert aussehen ließ. Die Landschaft wirkte endlos und durch den Nebel, der über den Boden waberte, surreal. Kurz unter dem zerklüfteten Gipfel hatte sich ein Wolkenring um den Berg gelegt. Nur die oberste Spitze ragte aus der weißen Wattedecke hervor.
Autumn konzentrierte sich wieder auf die bevorstehende Route und tauschte die Wanderschuhe gegen Kletterschuhe. Das zusätzliche Paar, das immer in ihrem Wagen lag, hatte einmal Josh gehört. Die Schuhe waren gut eingelaufen und passten Ben recht gut.
“Fertig?”, fragte er sie ungeduldig. Es sollte endlich losgehen.
“Ja, fertig.”
Ben nickte. Seine Miene war entschlossen. Keiner von beiden wusste, welche Probleme sie auf der Route erwarteten. Das Einzige, was sie wussten, war, dass sie jedwede Hindernisse bezwingen müssten.
Bens Tochter brauchte sie.
Sie durften nicht versagen.
30. KAPITEL
R uth erklomm den Weg im Morgengrauen. Sie lief hinter dem Mann, trottete den dritten Tag in Folge den Bergpfad hinauf, der zu Elis Blockhütte im Wald führte. In den vergangenen beiden Nächten hatten sie in Schlafsäcken neben einem kleinen Lagerfeuer genächtigt. Wäre Eli nicht bei ihr gewesen, hätte es ihr sogar Spaß gemacht.
Doch es gefiel ihr nicht,
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