Engelslieder
wir können.” Ben stand auf und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Rachael. “Sieht so aus, als hätte Elis heiteres Familienleben ein Ende. Ich will wissen, wo meine Tochter ist. Das Mädchen, das Sie Ruthie nennen. Sagen Sie mir, wo ich sie finde.”
Rachael biss die Zähne aufeinander. “Ich weiß nicht, wovon Sie reden.”
Sarah streichelte Ginny über die blonden Haare. “Eli hat Ruthie mitgenommen und ist mit ihr in die Berge gegangen”, sagte sie zu Ben.
Er atmete langsam ein, und Autumn wusste, wie stark er um seine Beherrschung rang. “Du bist Sarah, nicht?”, fragte er.
“Ja … Woher wissen Sie das?”
“Das ist eine lange Geschichte”, erwiderte Autumn sanft und bemühte sich ebenso sehr wie Ben um Ruhe. “Bist du … Bist du Elis Frau?”
Sarah warf Rachael einen kurzen Blick zu. Die schüttelte warnend den Kopf.
“Ich bin schwanger von ihm”, antwortete das junge Mädchen.
Bens Tonfall blieb sanft. “Sarah, ich bin hergekommen, um meine Tochter zu holen. Ihr richtiger Name ist Molly. Eli hat sie aus unserem Garten entführt, als sie erst sechs war. Kannst du mir sagen, wohin er sie gebracht hat?”
“Halt den Mund, Sarah”, warnte Rachael sie. “Du weißt ja, was Eli sonst mit dir macht, wenn er nach Hause kommt.”
Sarah biss sich auf die Lippe und sah auf einmal genauso jung aus, wie sie vermutlich war.
“Er wird dir nichts tun”, versprach Ben. “Das werde ich nicht zulassen. Eli wird nie wieder jemandem wehtun.”
Sarah wirkte immer noch verunsichert. “Er wird mich schlagen. Wenn ich Ihnen sage, wohin er gegangen ist, wird er mich auspeitschen. Das macht er gern. Es gefällt ihm, anderen wehzutun.”
Bens Miene versteinerte sich. “Wenn er dich auch nur anfasst, werde
ich ihn
auspeitschen. Ich werde dich beschützen, Sarah. Darauf gebe ich dir mein Wort. Ich werde alles Erdenkliche tun, um dich zu beschützen. Aber bitte sag mir, wohin er meine Tochter gebracht hat.”
“Sarah”
, zischte Rachael. Ihr Mund war nur noch eine schmale Linie.
“Er hat sie nach oben in seine Blockhütte mitgenommen – seine heilige Stätte. So nennt er sie. Man braucht drei Tage für den Aufstieg. Man muss auf dem Pfad hoch zum Gipfel von Angel’s Peak wandern.”
“Ich kenne den Weg”, sagte Autumn. “Im Sommer habe ich hier mal eine Woche mit meinem Vater verbracht. Der Pfad ist nicht allzu steil, weil er sich im Zickzack über den Berg windet, aber man braucht schon eine Weile, um den Gipfel zu erreichen.”
“Die Blockhütte liegt an einem Nebenpfad auf der linken Seite kurz vor dem Gipfel”, ergänzte Sarah.
“Warum bringt er sie dorthin?”, fragte Ben.
“Er will sie heiraten, genauso wie er es mit mir gemacht hat. Ruthie wird morgen zwölf. Eli sagt, damit ist eine Frau alt genug, um einen Mann so kennenzulernen, wie Gott es gewollt hat.”
Autumn dachte, sie wäre auf so etwas vorbereitet, doch ihr Magen drehte sich vor Übelkeit um, und sie musste mit aller Kraft gegen die Tränen ankämpfen. Sie schaute zu Ben und sah das blanke Entsetzen auf seinem Gesicht.
“Wir müssen ihn aufhalten, bevor er die Hütte erreicht”, sagte er.
“Wann sind sie losgegangen?”, wandte Autumn sich an Sarah, die kurz zu Rachael schaute. Doch die hatte resigniert und stand unbeweglich da.
“Gestern. Er wollte rechtzeitig dort sein. Er plant die Zeremonie für morgen Abend, an ihrem Geburtstag. Danach wird sie ihm gehören, und er wird … er wird …” Sarah biss sich auf die Unterlippe und sah weg.
“Schon gut, Kleines”, beruhigte Autumn sie. “Das alles wird schon bald vorbei sein.”
“Ich war dreizehn, als er mich geheiratet hat. Ich habe versucht, ihn dazu zu bringen, mit Ruthie noch ein Jahr zu warten, aber er hat gesagt, er habe es satt zu warten und dass sie alt genug sei.” In ihren Augen schimmerten Tränen. “Er ist mein Ehemann, der Vater meines Kindes. Sein Vater ist der Bruder meiner Mutter. Ich will ihn nicht hassen, aber ich tue es.”
Autumns Herz konnte kaum noch mehr Leid ertragen. Sie konnte nur erahnen, was es für ein dreizehnjähriges Kind bedeuten musste, in eine Scheinehe gezwungen zu werden und Sex mit einem erwachsenen Mann zu haben.
Autumn drückte dem jungen Mädchen zärtlich die Schulter. Sie hatte unendliches Mitleid mit Sarah. “Schon gut, Sarah. Alles wird wieder gut, versprochen.”
“Habt ihr hier oben ein Telefon?”, fragte Ben.
“Ja, in Elis Werkstatt steht eins”, gab Sarah Auskunft. “Aber wir dürfen es
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