Engelslieder
wissen? Gut, ich sag’s Ihnen. Sie kamen mit einer hanebüchenen Geschichte über Molly zu mir. Ich habe Sie noch nie zuvor gesehen, aber weil Sie es sagen, soll ich glauben, dass sie nach all den Jahren noch lebt und wir beide zusammen sie finden können. Wenn ich so verrückt bin, Ihnen zu glauben, wird das mein Leben auf den Kopf stellen. Womöglich erfährt meine Familie davon. Und falls das geschieht, wird auch sie darunter leiden. Sie sagen, Sie brauchen meine Hilfe? Nur unter einer Bedingung: Ich verpflichte mich zu gar nichts, ehe ich nicht weiß, wer, zum Teufel, Sie sind.”
Sie öffnete den Mund, aber er gab ihr keine Chance zu sprechen.
“Ich spreche nicht von den offensichtlichen Fakten – dass Sie eine siebenundzwanzigjährige Lehrerin sind oder dass Ihr Vater ein pensionierter Feuerwehrmann ist, der in Burlington lebt. Ich will wissen, wer Sie hier drin sind.” Er klopfte sich mit der Faust auf die Brust. “Ich muss glauben können, dass Sie mir die Wahrheit sagen – und nicht nur das, was Sie für die Wahrheit
halten
. Sie verlangen etwas von mir, Autumn? Okay. Aber ich verlange auch etwas von Ihnen.”
“Woher wissen Sie diese Dinge über meinen Vater? Haben Sie mich ausspionieren lassen, wie eine Kriminelle?”
“Dachten Sie, ich würde es nicht tun?”
Natürlich nicht. Mit seinem Geld und seinen Kontakten war es vermutlich nicht einmal schwierig gewesen. “Und was genau verlangen Sie?”
“Ich will die Zeit, Sie kennenzulernen. Um herauszufinden, ob Sie es ehrlich meinen. Sobald ich davon überzeugt bin, können Sie mit meiner vollen Kooperation rechnen.”
“Was ist mit Molly? Jeder verlorene Tag ist ein Tag, an dem wir nach ihr suchen könnten.”
“Molly ist seit sechs Jahren verschwunden. Wahrscheinlich ist sie tot, genau wie die Polizei sagt. Ich muss an Katie und Joanne denken. Wenn die ganze Sache von vorn beginnt, wird man mir Fragen stellen, und früher oder später werden sie davon Wind bekommen. Weder die beiden noch sonst jemand aus meiner Familie hat es verdient, das alles noch mal durchzumachen.”
Ein unumstößliches Argument. Seine Familie musste an erster Stelle stehen, und im Grunde hatte er keinen Grund, ihr zu glauben. Er musste sichergehen, dass er ihr vertrauen konnte. In der umgekehrten Situation würde sie genauso handeln.
“In Ordnung, wir machen es so, wie Sie wollen. Und wenn das bedeutet, dass Sie Klettern lernen wollen, dann legen Sie mal los.” Sie lächelte ihn herausfordernd an. “Am Ende macht es Ihnen noch Spaß. Es ist eine extrem aufregende Sportart.”
Ben nickte nur. “Dann sollten wir wohl besser anfangen. Ihre Schüler warten schon.”
Autumn schaute ihn noch einen Moment lang an. Nicht zum ersten Mal fiel ihr auf, was für ein gut aussehender Mann Ben McKenzie war. Markantes Kinn, wohl geformte Lippen, gerade Nase und dunkelbraune Augen, die mehr zu sehen schienen, als einem lieb war. Er war groß, braungebrannt und durchtrainiert. Und der kleine Hitzewirbel, der durch ihren Magen sauste, als sich ihre Blicke trafen, behagte ihr ganz und gar nicht.
Autumn riss sich zusammen. Sie hatte den Typ Frau doch gesehen, mit dem Ben McKenzie ausging. Delores Delgato war diesen Monat auf dem Cover der
Vogue
zu sehen. Autumn befand sich nicht mal in Reichweite dieser Liga, und das war ihr auch ganz recht. Wenn es um Männer ging, war sie die reinste Naturkatastrophe. Sie würde sich nicht von einem Typen wie Ben den Kopf verdrehen lassen.
Ben beobachtete Autumn bei ihrer Arbeit. Kaum waren sie in die Kletterhalle zurückgekehrt, hatte sie ihre volle Konzentration auf die Schüler gerichtet, die hergekommen waren, um etwas von ihr zu lernen.
“Bevor wir anfangen, möchte ich euch einen neuen Schüler vorstellen. Das ist Ben McKenzie. Vielleicht kommt euch sein Name bekannt vor. Er arbeitet nämlich im Sportartikelsektor und ist der Besitzer dieses Gebäudes.”
Mehrere Schüler nickten.
Ben folgte ihrem Blick zu den beiden Frauen in der Gruppe. “Ben, das sind Courtney Roland und Winnie Caruthers.” Eine hochgewachsene Blondine und eine attraktive Brünette mit muskulösen Armen und Beinen. “Und das hier Ian Camden und Bruce Lansky.” Ian war blond, Anfang zwanzig; Bruce dunkelhaarig und mindestens fünfzehn Jahre älter. “Und zu guter Letzt Matt Gould und Ned Wheaton.” Matt war ein großer Mann mit schütterem braunen Haar, Ned ein schlaksiger, gut aussehender Schwarzer mit rasiertem Kopf und kleinen
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