Engelslieder

Silberohrringen.
    “Freut mich, euch kennenzulernen”, sagte Ben.
    “Okay, dann wollen wir mal”, meinte Autumn.
    Ihm fiel sofort auf, wie ernst sie ihre Aufgabe nahm, als sie die Schüler zu einem der Tische hinüberführte und sie mit dem dort aufgereihten Kletterzubehör vertraut machte.
    “Wir haben über die Kletterausrüstung im Allgemeinen gesprochen. Wie ihr sehen könnt, verwende ich fast ausschließlich Black Diamond. Die Marke ist mein persönlicher Favorit, aber auch andere Firmen stellen hochwertige Produkte her.” Sie warf ihm einen Blick zu. “Vielleicht kann Ben uns ja seine Meinung dazu mitteilen.”
    “Wir verkaufen in unseren Geschäften nichts, was keine Spitzenqualität hat, und unsere Mitarbeiter sind sachkundig und hilfsbereit. Ich weiß, dass wir Black Diamond im Sortiment haben, also muss es gut sein. Aber da ich in dieser Sportart ein Neuling bin, verweise ich bei diesem Thema lieber auf Autumn.”
    Autumns Blick streifte sein Gesicht, und er spürte ein Ziehen in der Lendengegend. Dann widmete sie sich wieder der Ausrüstung. “Was ihr hier seht, sind die Basics: Klettergurt, Karabiner, sogenannte ‘Friends’, mechanische Klemmgeräte, einen Helm, ein Chalkbag und zwei weitere Sicherungsgeräte.”
    Die Gruppe scharte sich um den Tisch, während Autumn jedes Teil benannte. Sie hielt ein Seilbündel hoch. “Dieses Seil ist statisch, also nicht elastisch. Man benutzt es beim alpinen Bergsteigen, um einen Berg zu besteigen oder sich abzuseilen.” Sie hielt ein anderes Seil in die Höhe. “Das ist ein zusammengelegtes, zweiundsiebzig Meter langes Kletterseil. Ein leichtes, strapazierfähiges, dynamisches Seil mit niedrigem Fangstoßwert – das heißt, es dehnt sich genügend aus, um den Ruck im Falle eines Sturzes abzufedern.” Sie gab den Kursteilnehmern Zeit, um sich das Zubehör in Ruhe anzusehen, und beantwortete einige Fragen.
    “Ihr habt ja alle Kletterschuhe”, fuhr sie dann fort. “Zieht sie euch bitte an. Und wer auch einen eigenen Klettergurt hat, legt ihn sich schon mal um. Die anderen können sich welche von uns nehmen.”
    Die Gruppe zog sich um. Autumn trug schmal geschnittene, khakifarbene Cargo-Shorts und ein ärmelloses oranges Top mit Rundhalsausschnitt und der Aufschrift “I lead, you follow”. In weiser Voraussicht hatte Ben in seiner Innenstadt-Filiale ein Paar lederne Kletterschuhe mit Gummisohle gekauft. Er setzte sich auf eine Bank, um sie anzuziehen, und beschloss, hinsichtlich des restlichen Kletterequipments auf Autumns Ratschläge zu hören.
    Er hatte ihr die Wahrheit gesagt. Er hatte schon mehrmals darüber nachgedacht, diese Sportart einmal auszuprobieren, und nun bot sich ihm die ideale Gelegenheit dazu.
    Doch weitaus wichtiger war, dass er so Zeit gewann. Er war nicht bereit, sich in ein aller Wahrscheinlichkeit nach fruchtloses Unterfangen zu stürzen, das ihm und seiner Familie noch mehr Elend bescheren könnte. Andererseits – nach allem, was sie unternommen hatte, schloss er die verschwindend kleine Möglichkeit nicht aus, dass Autumn Sommers tatsächlich irgendeine bizarre mentale Verbindung zu seiner Tochter hatte und Molly vielleicht noch am Leben war.
    Er musste der Wahrheit über Autumn auf die Spur kommen, und das ging nur, indem er Zeit mit ihr verbrachte.
    Er betrachtete das Ausrüstungszubehör auf dem Tisch. Er würde mit den Jungs aus der Kletterabteilung Rücksprache halten, doch er hatte das Gefühl, Autumn wusste genauso viel über die Auswahl der richtigen Ausrüstung wie sie. Wenn nicht sogar mehr.
    “Ich gehe zuerst hoch”, sagte sie. “Dann könnt ihr euch meine Technik ansehen.” Sie sah zu Ned hinüber. “Du kennst dich doch im Umgang mit dem Seil aus, Ned. Würdest du mich sichern?”
    “Kein Problem.” Ein langes Seil lief durch eine Umlenkung am oberen Ende der Wand. Ned, offenbar der erfahrenste Schüler in der Gruppe, führte ein Ende des Seils durch das Sicherungsgerät an seinem Klettergurt, während Autumn ihr Seilende zu einem doppelten Achterknoten verknüpfte und es so an ihrem Gurt befestigte.
    “Wenn ich wieder unten bin, seid ihr dran”, verkündete sie den Schülern. Sie ließ den Blick über die Gruppe schweifen und hielt bei Ben inne. “Ich würde sagen, heute fängt Ben an.”
    Autumn schaute ihm fest in die Augen, und Ben lächelte leicht. Sie testete ihn. Das konnte er ihr von den schräg stehenden Katzenaugen ablesen. Ihr gefielen die Spielregeln nicht, die er aufgestellt hatte, aber sie