Engelslieder
sein Zögern und wusste, dass er nicht daran glaubte, seine Tochter zu finden. Somit wäre die Suche für ihn unweigerlich mit Schmerz verbunden. Sie hingegen weigerte sich, von vornherein an ein Scheitern zu denken.
“Ben?”
“Okay, was hältst du von Montag? Wie lange dauern deine Kurse?”
“Bis um zwei.”
“Ich werde im Büro arbeiten. Wir treffen uns um Viertel nach zwei in der Lobby.”
Er schlug nicht vor, dass sie hochkam. Er wollte nicht, dass die Leute von der Suche erfuhren. Er fürchtete, seine Familie könnte es herausfinden. Er hatte seine Exfrau mehrmals erwähnt. Autumn fragte sich, ob er sie noch liebte. Die Vorstellung machte ihr mehr zu schaffen, als gut war.
Gleich nach dem Frühstück schnappte sich Ben sein Smokingjackett, stopfte Frack- und Manschettenknöpfe in eine der Taschen und warf sich lässig den Mantel über die Schulter. “Vielen Dank für das leckere Frühstück.”
“Keine Ursache.”
Er öffnete die Tür, ging jedoch nicht. Als er sie ansah, lag etwas in seinem Blick, das ihr den Atem stocken ließ.
“Der Kuss letzte Nacht … ich fürchte, das könnte kompliziert werden.”
Autumn schüttelte eilig den Kopf. “Nein. Dazu werde ich es nicht kommen lassen. Gestern Nacht war nur … du weißt schon … ein Hirngespinst. Wir arbeiten zusammen, sonst nichts. Eine reine Zweckbeziehung.”
Ben starrte sie einen Moment lang an, dann nickte er. Als er in den Flur hinaustrat und die Tür zuzog, konnte sie nicht sagen, ob er erleichtert oder enttäuscht ausgesehen hatte.
11. KAPITEL
P ünktlich war Autumn mit ihrer letzten Einzelstunde fertig und zog sich um: Jeans, eine weiße Baumwollbluse, Halbschuhe und einen braunen, sportlichen Kordmantel. Dann machte sie sich auf in die Lobby. Ben trat gerade aus dem Fahrstuhl, als sie ankam.
Früher am Morgen war sie ein wenig überrascht gewesen, als Ben zu ihrem Kletterkurs gestoßen war. Schließlich hatte er sich bereits entschieden, ihr zu helfen. Er musste den Kurs also nicht fortsetzen. Doch der Mann war ein Vollblutsportler und stets für eine Herausforderung zu haben – und Klettern war definitiv eine. So schnell wie er Fortschritte machte, war es offensichtlich, dass er viel gelesen hatte, sich womöglich sogar von den Jungs aus seinen Filialen hatte helfen lassen.
Er schien fest entschlossen zu lernen und war ein Naturtalent. Dieses Mal erklomm er die Wand bis ganz nach oben, ohne auch nur ein Mal abzurutschen. Ihr gefiel die Art, wie er sich bewegte, und sie sah gern dabei zu, wie seine Arm- und Beinmuskulatur arbeitete, während er das Gewicht verlagerte und sich höher zog.
Nach dem Kurs kam Josh herein, um einen neuen Termin für einen Wochenendausflug auszumachen, und sie stellte die beiden einander vor. In den ersten Sekunden sahen sie sich in Cowboymanier abschätzend an, dann erinnerte Ben sie an ihre Verabredung am Nachmittag, nickte Josh zu und verließ die Kletterhalle.
“Wie wäre es mit diesem Wochenende?”, erkundigte sich Josh, nachdem Ben gegangen war. “Du musst inzwischen doch schon darauf brennen, den Berg in Angriff zu nehmen.”
Sie dachte an Molly und die Suche, die sie sich in den Kopf gesetzt hatte. “Ich kann dir nicht sicher zusagen, Josh. Ich bin zurzeit sehr beschäftigt.”
Er machte eine Kopfbewegung in Richtung Tür. “Mit ihm?”
Autumn schüttelte den Kopf. “Nicht so, wie du denkst. Wir arbeiten gemeinsam an einem Projekt, das ist alles.”
Josh sah sie unverwandt an. “Sei vorsichtig, Autumn. Der Kerl hat in Bezug auf Frauen einen eindeutigen Ruf.”
Als ob ich das nicht wüsste.
“Wenn du dich zu sehr auf ihn einlässt, wird er dich unweigerlich verletzen.”
Ihr Magen verknotete sich. “Mach dir keine Sorgen, Josh. Aber trotzdem danke für die Warnung.”
Das war vor zwei Stunden gewesen. Jetzt war es Viertel nach zwei, und Autumn traf sich in der Lobby mit Ben. Er kam mit diesem ihm eigenen, entschlossenen Gang auf sie zu, der zu sagen schien: Zeit ist wertvoll. Ich will sie nicht verschwenden.
“Mein Auto steht in der Tiefgarage. Lass uns gehen.” Er bedeutete ihr, in den Fahrstuhl zu gehen, aus dem er gerade gekommen war, folgte ihr und drückte auf den Knopf – UG I. Ein Angestellter des Parkservices hatte den Wagen – einen prächtigen silbernen Mercedes – bereits vorgefahren, als sie ankamen.
“Schönes Auto”, kommentierte sie.
“Mir gefällt es.”
Sie betrachtete den windschnittigen, teuren Wagen genau. “So schön er auch ist,
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