Engelslieder
…”
Er ließ den Satz unvollendet, und Autumn drängte ihn nicht zum Weitersprechen. Vertrauen brauchte Zeit zu wachsen. Es war offensichtlich, wie verletzt er nach all den Jahren noch war. Beizeiten würde er ihr vielleicht genügend vertrauen, um mehr Gefühle preisgeben zu können. Sie könnten sogar Freunde werden.
Das ist es, was ich von einem Mann will, sagte sie sich selbst, Freundschaft und sonst nichts. Wenn sie nicht verletzt werden wollte, musste ihre Beziehung zu Ben platonisch bleiben.
Sie stiegen aus dem Wagen und steuerten das Nachbarhaus von Bens ehemaligem Zuhause an. Eine grauhaarige Frau um die siebzig mit einer weit geschnittenen Blümchenhose öffnete die Tür auf ihr Klopfen hin.
“Ben McKenzie! Wenn das keine Überraschung ist! Was, um Himmels willen, machen Sie hier draußen?”
“Hallo, Mrs. Biggs. Schön, Sie zu sehen. Das ist Autumn Sommers, eine Freundin von mir.”
“Schön, Sie kennenzulernen”, erwiderte die ältere Dame und widmete ihre Aufmerksamkeit sogleich wieder Ben. “Ich muss sagen: noch immer so gut aussehend wie früher. Wie lange habe ich Sie nicht gesehen … fast sechs Jahre, oder? Seit Ihre arme kleine Molly …”
“Genau darüber würden wir gern mit Ihnen sprechen”, schnitt Autumn ihr die schmerzvollen Worte ab.
“Wir hoffen, dass Sie sich vielleicht an ein neues Detail jenes Tages erinnern”, fügte Ben hinzu. “Etwas, woran Sie damals nicht gedacht haben.”
Sie seufzte bedauernd. “Wie ich der Polizei gesagt habe: Ich saß im Wohnzimmer und sah fern, als es passierte. Ich weiß nicht mehr, welche Sendung es war, aber …”
“Haben Sie eine verdächtige Person bemerkt, die in den Tagen zuvor in der Nachbarschaft herumlungerte?”, fragte Ben. “Jemanden, der in einem parkenden Auto saß oder einfach herumfuhr?”
“Nicht dass ich wüsste.”
“Gibt es überhaupt etwas, das Ihnen irgendwie als ungewöhnlich im Gedächtnis geblieben ist? Vielleicht etwas, das vor oder nach der Entführung vorgefallen ist?”
Mrs. Biggs schüttelte den grauen Schopf. “Nein, nichts. Ich weiß noch, dass Mr. Bothwells Katze am Vortag gestorben ist. Er war todtraurig deswegen.”
Ben atmete tief ein und langsam wieder aus.
Autumn packte ihn am Arm. “Trotzdem danke, Mrs. Biggs.” Sie zerrte ihn von der Tür fort. Unter seinem braunen Teint wirkte sein Gesicht blasser als bei ihrer Ankunft. Bis Mrs. Biggs die Tür geöffnet hatte, war Autumn nicht ganz klar gewesen, wie schwierig es für Ben werden würde.
Aber nun waren sie einmal da, und Autumn war fest entschlossen.
Die nächste Stunde verbrachten sie damit, an sämtliche Türen in der Nachbarschaft zu klopfen, wo sie dieselben Antworten erhielten wie die Polizei sechs Jahre zuvor.
Niemand hatte irgendetwas gesehen.
“So viel zum Thema ‘die Nachbarn befragen’”, sagte Ben finster. Seine Schultern waren angespannt, die Zähne fest aufeinandergebissen.
“Es ging blitzschnell, Ben. Die Nachbarn waren drinnen oder in ihren Gärten.”
“Ja, ich weiß.”
“Es war einen Versuch wert.”
Er nickte resigniert.
“Wir müssen mit den Kindern sprechen”, sagte sie. “Die Kinder, die an jenem Tag mit Molly gespielt haben. Ich weiß, das ist das Letzte, was du willst, aber wir haben keine andere Wahl, Ben.”
Er nickte mit starrer Miene. “Außer Molly waren nur drei andere da. Sie waren alle in Mollys Alter und gingen mit ihr auf dieselbe Schule. Soweit ich weiß, ist niemand von ihnen von hier weggezogen.”
“Weißt du, wo sie wohnen?”
“Sie kommen fast alle aus diesem Viertel. Nach Mollys Verschwinden habe ich so oft mit ihnen gesprochen. Ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben, dass den Kindern irgendwas einfiele, das uns weiterhelfen würde, aber sie waren alle noch so klein. Ich bezweifle, dass sie sich nach so langer Zeit noch an viel erinnern.”
“Ich erinnere mich auch noch an viele Dinge aus meiner Kindheit. Vielleicht geht es einem von ihnen genauso.”
“Versuchen wir’s.”
Sie stiegen wieder ins Auto und fuhren zum Zuhause des ersten Kindes ein paar Blocks weiter. Zu dieser Tageszeit würden vermutlich selbst die Kinder, die an der Schule die Sommerkurse besuchten, daheim sein oder irgendwo in der Nähe spielen.
Mrs. Sidwell, die Mutter einer der damaligen Spielgefährtinnen, war verständnisvoll und höflich. Sie bat Ben lediglich, Emily nicht zu sehr zu bedrängen.
“Ich weiß nicht, wie viel sie davon noch weiß. Ich glaube, sie erinnert sich vor allem an
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