Engelslieder
schließe daraus, dass er andere gern kontrolliert – besonders Frauen.”
“Ein Chauvinist”, warf Autumn ein.
“Der es bis zum Extrem treibt”, ergänzte Riker. “Er hasst es, die Kontrolle zu verlieren, und er duldet keinen Ungehorsam – ob realen oder eingebildeten. Vermutlich wird er dann wütend oder aggressiv und will sich an dem Aufmüpfigen durch Bestrafung rächen. Er regiert mit eiserner Hand, ist jedoch fair. Diese Frauen haben Angst vor ihm, aber sie bewundern ihn auch. Im Allgemeinen fühlen Frauen sich zu ihm hingezogen.”
Autumn schaute zu Ben. Sein Blick war hart, seine Kiefermuskulatur zuckte.
“Der schlichten Kleidung nach zu urteilen, die die Frauen in der geschilderten Situation tragen, würde ich sagen, dass er zurückgezogen lebt und introvertiert ist. Er ist viel alleine und erwartet dasselbe Verhalten von seiner Familie. Seine Arbeit – was immer das auch sein mag – lässt er sich vermutlich bar bezahlen, und er kann sie ohne Hilfe erledigen. Vielleicht sogar von zu Hause aus.”
“Was können Sie uns sonst noch sagen?”, fragte Ben.
“Wir wissen, dass der UnSub in seinem familiären Umfeld drei Frauen hat. Da die älteste in seinem Alter ist, können wir davon ausgehen, dass er sie umworben und nicht gezwungen hat, zu ihm zu kommen. Vielleicht hat er die Fünfzehnjährige entführt und ist ungeschoren davongekommen. Dann entführte er Molly und kam ebenfalls ungestraft davon. Er ist arrogant – hält sich für klüger als alle anderen. Molly ist jetzt sechs Jahre älter, fast ein Teenager, bald eine Frau. Es könnte sein, dass er wieder versuchen wird, ein kleines Kind zu entführen und es in seine Familie einzugliedern.”
Erneut sah Autumn Ben an. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck kontrollierten Zorns, den sie noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte.
Riker klopfte auf die Akte. “Natürlich hat das alles nur dann Gültigkeit, solange wir davon ausgehen, dass Ihre Informationen korrekt sind”, schloss er.
“Eine relevante Sache haben Sie ausgelassen”, sagte Ben leise. “Glauben Sie, dass Molly und das andere Mädchen sexuell missbraucht werden?”
Riker lehnte sich zurück. “Diese Vermutung mag naheliegen, aber meines Erachtens enthalten die Akten nicht genügend Informationen, um das mit Sicherheit sagen zu können. Anscheinend sieht sich der UnSub als einen Vertreter Gottes. Ich glaube, er möchte, dass die Familie, die er sich zusammengestellt hat, ihn als solchen ansieht. Ob das den Beischlaf mit den jüngeren Mädchen einbezieht, ist schwer zu sagen.”
Riker schloss die Akte und schob sie zurück zu Ben. “Was auch immer hier vor sich geht, ich wünsche Ihnen viel Glück. Wenn Sie mir eine Kopie des Phantombildes dalassen, jage ich sie in der Zwischenzeit durch das nationale Pädophilenregister. Falls wir einen Treffer landen, lasse ich es Sie wissen.”
“Danke.”
Gefolgt von Autumn und Ben, schlüpfte Riker aus dem Separee.
“Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben”, sagte Ben.
Riker sah ihm direkt in die Augen. “Walker sagte mir, bei dem Mädchen handele es sich um Ihre Tochter. Ich kann mir vorstellen, wie schwer es für Sie sein muss, objektiv zu bleiben, aber Sie müssen es trotzdem versuchen.”
Dies war eine unterschwellige Warnung, dass Ben sich nicht allzu große Hoffnungen machen sollte – insbesondere weil die Informationen, die er hatte, sich immer noch als absolut wertlos entpuppen konnten. Er hatte recht, und genau deshalb verkrampfte sich Autumns Magen.
Ben reichte ihm die Hand. “Nochmals danke.”
Riker ergriff sie. “Wenn Sie stichhaltige Beweise haben, rufen Sie mich an.”
“Das werde ich tun”, erwiderte Ben. Autumn vernahm das Klingeln der Glocke, als Riker hinausging und sich die Tür hinter ihm schloss.
Ben stand neben ihr und atmete geräuschvoll aus. “Das war ja noch schlimmer, als ich gedacht hatte.”
Autumn schluckte den Kloß herunter, der sich langsam in ihrer Kehle breitmachte. Alles, was Riker gesagt hatte, schien Hand und Fuß zu haben. Wenn der blonde Mann der Beschreibung des Profilers auch nur ein bisschen ähnelte, dann war er ein Ungeheuer.
Und sie waren auf der Suche nach ihm nicht einen Schritt weiter als vorher.
19. KAPITEL
A m frühen Nachmittag trafen sie wieder in Seattle ein. Ben fuhr in seine Wohnung, um sich umzuziehen und anschließend ins Büro zu gehen, während Autumn zur Arbeit in die Kletterhalle aufbrach.
Am Vorabend hatte sie Josh angerufen und
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