Engelslieder
entlang und stiegen die Treppe zu dem leuchtend roten Jeep hinauf. Zwanzig Minuten später betraten sie das Seaside Café in der Nähe des Fähranlegers.
Es war elf Uhr. Die meisten Frühstücksgäste waren schon weg, und für den Mittagsansturm war es noch zu früh. Das Café war angenehm leer. Im hinteren Bereich entdeckte Autumn einen dunkelhaarigen Mann in einem Separee. Er hatte lichtes Haar und trug eine dunkelblaue Windjacke sowie eine khakifarbene Hose. Er war alleine, und irgendetwas an ihm – vielleicht die Art und Weise, wie er alles mitzubekommen schien, was um ihn herum geschah – unterschied ihn deutlich von den anderen Gästen.
“Riker?”, fragte Ben im Näherkommen.
Er erhob sich von seinem Platz in der pinkfarbenen Vinylnische. “Burt Riker. Ich nehme an, Sie sind Ben McKenzie.”
“Richtig, und das ist Autumn Sommers.”
Bei dem Namen zog der Mann eine Augenbraue hoch, und Autumn lächelte. “
Sommers
mit einem
O”
, fügte sie hinzu.
Sie setzte sich ihm gegenüber und rutschte auf der Bank durch, um Platz für Ben zu machen. Auch Riker setzte sich wieder, und Ben schob die beiden mitgebrachten Umschläge über den Tisch. Riker holte eine Lesebrille aus der Jackentasche hervor, setzte sie auf und begann die Akten durchzulesen. Als die Kellnerin kam, um Rikers Tasse aufzufüllen, bestellte Ben Kaffee für sich und Autumn.
Fast zwanzig Minuten verstrichen, in denen weder Autumn noch Ben ein Wort sprachen. Dann hob der Profiler endlich den Blick.
Er richtete seine Aufmerksamkeit auf Ben. “Ihr Freund Lee Walker bat mich, ihm einen Gefallen zu tun und mit Ihnen zu sprechen. Er sagte nicht viel, nur, dass Sie Informationen haben, die Sie nicht verifizieren können, aber dennoch für überzeugend halten. Er sagte, ich würde vermutlich nicht wissen wollen, woher Ihre Indizien stammen, also werde ich gar nicht erst danach fragen.”
Autumn war erleichtert. Keine Fragen zu den Träumen. Ein Problem weniger.
“Angenommen, die Informationen, die wir gesammelt haben, stimmen”, meinte Ben, “was können Sie uns dazu sagen?”
Riker tippte auf die Akte. “Laut den Angaben in Ihrem Ordner ist der unbekannte Täter oder der UnSub – wie wir beim FBI diese ‘unbekannten Subjekte’ nennen – blond, hellhäutig, Ende dreißig bis Mitte vierzig und wiegt zwischen sechzig und siebzig Kilo.”
“Genau.”
“Die erste Phantomzeichnung zeigt einen harmlos aussehenden, ziemlich durchschnittlichen Kerl. Auf dem aktuelleren Bild sieht er härter aus, aber seine Fähigkeit, sich optisch anzupassen, gehört zu seiner Tarnung. Wenn wir andererseits davon ausgehen, dass er das Kind tatsächlich in sein Auto gelockt hat, müssen wir annehmen, dass der Mann auch charmant sein kann. Er hat es geschafft, binnen kurzer Zeit das Vertrauen des Kindes zu gewinnen. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass er schon länger dabei war, Vertrauen aufzubauen. Vielleicht hat er in der Schule oder irgendwo anders mit dem Mädchen gesprochen.”
“Meine Exfrau hat sich kürzlich daran erinnert, dass er sie und Molly kurz vor Mollys Entführung vor dem Sportgeschäft angesprochen hat.”
Riker nickte. “Womöglich hat er auch bei anderen Gelegenheiten mit ihr gesprochen. Molly wurde an einem Wochentag nach der Schule entführt. Der UnSub kannte vermutlich ihren Tagesablauf. Er verfolgte sie, um herauszufinden, zu welcher Tageszeit er sie am besten mitnehmen konnte, ohne erwischt zu werden.”
“Er hat also seine Hausaufgaben gemacht.”
Der Profiler nickte. “Er ist keine impulsiv handelnde Person.” Er nippte langsam an seinem Kaffee und stellte die Tasse dann wieder auf den Tisch. “Sie glauben, das Mädchen lebt momentan mit zwei weiteren Frauen zusammen, die beide blond sind – genauso wie Molly. Daraus können wir schließen, dass der UnSub sie nicht willkürlich ausgewählt hat. Er wollte ein Kind, das dieselbe helle Hautfarbe hat wie er. Möglicherweise wollte er einfach ein Mädchen, das sein leibliches Kind sein könnte, aber wahrscheinlich spielen dabei auch rassistische Beweggründe eine Rolle.”
“Sie meinen, er ist ein Nationalist, der einer White-Supremacy-Gruppierung angehört?”, hakte Ben nach.
“Er muss nicht zwingend Mitglied einer solchen Organisation sein, aber seine Gesinnung geht vermutlich in diese Richtung, ja. In Ihrer Akte wird beschrieben, wie der UnSub mit den Frauen in seiner ‘Familie’ umgeht. Dort steht, dass sie offensichtlich Angst vor ihm haben. Ich
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