Engelslust
– ja, eigentlich glaubte er das immer weniger. Gerade als er sich aufsetzen wollte, um die Knoten zu lösen, traf ihn eine Vision und er sackte zurück neben ihren Körper.
Cain befand sich plötzlich auf einer Wiese. Es war dunkel; kühler Wind wehte ihm das Haar aus der schweißnassen Stirn; über ihm leuchtete der Mond. Blutrot.
Dann bemerkte Cain das Licht in der Mitte des Steinkreises. Er hockte an dessen Rand, hinter einem der niedrigen Monolithen versteckt. Ein bläuliches Pulsieren ging von dem Kelch aus, neben dem Thorne und Amabila knieten.
Doch zu Cains Rechten stand Raja mit wutverzerrtem Gesicht und schrie ihn an: »Ich werde den verdammten Kelch holen!« Dann lief sie auf die Mitte des Steinkreises zu …
»Cain!«, hörte er Rajas Stimme durch das Klopfen seines Pulses. »Was hast du?«
Am ganzen Körper zitternd, schlug er die Augen auf. »Ich hatte … eine Vision …« Raja … Sie wollte den Kelch! Ein Stich durchfuhr sein Herz. Aber im letzten Moment hatte er noch etwas anderes gesehen, das ihn bis ins Mark erschütterte. Raja durfte auf keinen Fall mit ihm kommen, das musste er mit allen Mitteln verhindern!
Raja zerrte an den Seilen. »Was? Eine Vision?«
»Ja, das ist meine Gabe.« Wehmütig und noch immer aufgebracht wegen seiner Vorhersehung, zog er ein Tuch aus seiner Hosentasche und versuchte, es Raja in den Mund zu stopfen, damit sie ihn nicht verzaubern konnte, doch sie drehte ständig den Kopf zur Seite.
»Hey, was soll das? Cain, was hast du gesehen?«
»Ich muss dich knebeln.«
»Was?!« Entsetzt schaute sie ihn an. »Aber du bist doch ein Engel, ich habe dir vertra...« Endlich hatte er es geschafft, ihr das Tuch in den Mund zu stopfen. Ihre grünen Augen fixierten ihn ungläubig. Sie atmete hektisch.
»Ich bin eben nicht vollkommen oder warum denkst du, habe ich den Job beim Sonderkommando bekommen? Ich bin fies, hinterhältig und skrupellos«, knurrte Cain, bevor er vom Bett sprang, seine Hose schloss und sich anzog. Sein Herz wurde schwer bei Rajas Anblick, aber er tat das Richtige. Sie hätte ihn nur reingelegt – seine Vision hatte ihm das deutlich gezeigt, und diese andere Sache … Natürlich musste die Vision nicht zutreffen, redete er sich ein, weil er es nicht wahrhaben wollte. Außerdem … Wenn sie nicht an seiner Seite war, konnte sie ihn wenigstens nicht blenden. Seine Gefühle für die Halbdämonin waren mittlerweile zu stark und es würde nur umso schmerzhafter werden, wenn Raja ihn tatsächlich hinterging oder … starb. Er konnte das Risiko einfach nicht eingehen. »Es tut mir leid.« Cain küsste sie auf die Stirn und deckte sie zu.
Raja tobte in den Seilen und warf ihm giftige Blicke zu, die sich wie Stacheln in ihn bohrten. Eine einsame Träne bahnte sich einen Weg über ihre Wange.
Niemand würde sie hören. Das Ferienhaus lag mitten im Nirgendwo. Falls sie sich nicht selbst befreien konnte, würde sie am Morgen der Putztrupp finden, es sei denn, Cain überlebte die nächsten Stunden, dann würde er sofort dafür sorgen, dass Crispin sie losmachte. Sicherheitshalber hatte Cain seinem Kollegen die Koordinaten der Finca hinterlassen, falls er es nicht schaffte. Cain wollte nicht, dass Raja etwas geschah. Er wusste ja nicht, was passieren würde, falls es Thorne doch gelang, die letzte Zutat in den Kelch zu geben.
»Traue nie einem Dämon«, murmelte Cain, weil er wollte, dass sie ihn hasste. Sie durften sich nie wieder sehen, denn es würde ohnehin keine gemeinsame Zukunft geben. Das war unmöglich.
Er wirbelte einmal durchs Zimmer, um die Kerzen auszublasen und sich anschließend in Rauch aufzulösen. Sein Herz fühlte sich jedoch an, als würde es zerfetzt werden.
***
Xira saß auf ihrem Thron und hatte einen Spiegel in der Hand, der ihre einzige Verbindung zur Oberwelt war. Ein Kristall, den Shah an einem Band be festigt um seine Stirn trug, übermittelte die Bilder an den Spiegel. Im Moment zeigte er ihr Leraja, die geknebelt ans Bett gefesselt war, nackt. Shah beobachtete sie durch ein Fenster. Offensichtlich wurde ihre unnütze Tochter von dem Engel überlistet, den sie selbst zu ihren Zwecken missbrauchen wollte. Was für eine Versagerin! Was für ein hinterhältiges Miststück!
Xira stieß einen Schrei aus und hätte am liebsten den Spiegel durch den Saal geschleudert, aber es war ihr letzter. »Das wirst du mir büßen, Tochter!«
Wenigstens auf ihren Sklaven war Verlass: Shah war ihr Auge und ihr ausführendes Organ, denn Xira selbst
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