Engelslust
Schlüssel im verrosteten Schloss, doch … »Es ist offen!«
Der alte Mann murmelte einen chinesischen Fluch. Sein aschfahles Gesicht wurde noch weißer, während Cain mit Leichtigkeit, doch mit heftig pochendem Herzen, die schwere Tür anhob. Eine Truhe stand in dem dunklen Loch, gefüllt mit weiteren Phiolen. Der Chinese leuchtete wieder mit der Taschenlampe hinein, um die Fläschchen durchzuzählen. Plötzlich wurden seine Augen groß und er begann noch einmal von vorne.
»Du liebe Güte, es fehlen eine Flasche mit schwarzem Dämonenblut!« Der alte Mann wollte Cain die Lampe geben, aber er sah die Phiolen auch im Dunkeln. Er erschauderte. Aus jeder seiner Poren trat kalter Schweiß. Sein Puls raste. Schon ein Tropfen dieser Flüssigkeit war tödlich. Verdammt, was auch immer der Kelchdieb vorhatte – jetzt besaß er die mächtigsten Zutaten, um Schwarze Magie zu wirken!
Die Verantwortung legte sich wie Blei auf Cains Schultern. Die Panik, seine Aufgabe nicht erfüllen zu können, schnürte ihm fast die Luft ab.
»Wieder nur eine Flasche«, murmelte der Alte in seinen Bart. »Wer sich Gelegenheit entgehen lässt?«
»Warum bewahren Sie so gefährliche Zutaten in Ihrem Laden auf, Mr Fang?«, fragte Cain, dem an diesem Fall kaum noch etwas wunderte. Nichts schien einen Sinn zu ergeben. »Soweit ich weiß, werden die hochgradig schwarzmagischen Zutaten im Bunker des Zentrallagers der Magier gelagert – unter schwerer Bewachung.«
»Ja, das stimmt.« Der Chinese seufzte laut. Die Hand auf seinem Stock zitterte. »Ausnahme das gewesen. Vor einigen Stunden mir ein Bursche Kiste gebracht, ein junger Engel, der gesagt, habe sie Dämonen abgeknüpft. Sollte heute ins Zentrallager gehen.«
Cain erinnerte sich, solch eine Nachricht gehört zu haben. Eine eher unwichtige Untergruppe ihrer Organisation hatte zufällig hier in New York einen Dämonenklub ausgehoben, der ihnen schon lange ein Dorn im Auge war, weil der Besitzer mit verbotenen Gütern handelte. Die »Kiddies«, wie Cain die im Sinne von Engeljahren noch sehr jungen Engel nannte, die nicht fliegen konnten, sondern sich wie gewöhnliche Menschen fortbewegten, hatten die Kiste nicht ins Lager bringen können. Cain hätte am liebsten jeden einzelnen von ihnen den Hals persönlich umgedreht, weil sie derart dumm gehandelt hatten. Doch er konnte die jungen Engel auch irgendwie verstehen. Sie wollten eben beweisen, dass sie auch etwas draufhatten. Zum Glück war keiner von ihnen ernsthaft zu Schaden gekommen.
Dann hatte die Excelsior Corporation von dem Kelchdiebstahl erfahren und darüber andere Aufgaben vernachlässigt. Verdammt!
Nachdem er wieder zurück in den Keller geklettert war, fragte Cain: »Gibt es einen sicheren Ort, wo Sie die restlichen sechs Fläschchen Drachenblut und die weiteren Zutaten aufbewahren können?«
Der alte Chinese strich sich über den langen weißen Bart und nickte. »Wohl am besten, ich schließen erst einmal meine Laden. Alles soll in Bunker geschafft werden, bevor das Unheil hereinbricht über uns.« In seinen wässrigen Augen lagen Kummer und Sorge. Sein ganzer Körper bebte. Als einer der wenigen eingeweihten Menschen wusste er, was höchstwahrscheinlich geschehen würde, sollte es dem Sonderkommando innerhalb von sechs Tagen nicht gelingen, den Kelch zu finden und zu deaktivieren. Sechs Tage deshalb, weil der Kelch nur eine Zutat pro Tag aufnehmen konnte, insgesamt aber sieben brauchte, um ein magisches Gebräu herzustellen.
Normalerweise operierte die Excelsior Corporation verdeckt, doch manchmal wurden auch Sterbliche eingeweiht, wie Mr Fang, denn auch Wesen wie Cain konnten ihre Augen und Ohren nicht überall haben. Sie bewegten sich stets unauffällig unter den Menschen, weshalb sie in menschlichen Körpern steckten.
»Ich gesagt, dass sieben Phiolen Drachenblut nicht gut«, murmelte Mr Fang.
Obwohl sich auch in Cains Magen ein mulmiges Gefühl ausbreitete, ging er nicht darauf ein, da er wusste, dass die Sieben bei den Chinesen eine Unglückszahl war. »Okay, ich schicke Ihnen gleich ein paar Leute vorbei, die sich darum kümmern werden«, erklärte er, bevor er dem alten Mann die steile Kellertreppe nach oben in den Laden half und anschließend die Regalwand wieder vor die Tür schob, die den Zugang zum Keller verdeckte. Der Shop befand sich in einer Seitenstraße von Manhattan und wirkte eher unscheinbar. Nur wer ihn kannte, kaufte hier ein.
Tief inhalierte Cain den Duft verschiedener Gewürze und anderer
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