Engelsnacht
gut ich aufgepasst habe?« Er stupste sie mit der Schulter an. »Den besten Champagner, den ihr habt«, rief er dem Barmann zu, der den Kopf zurückwarf und ein trockenes, abfälliges Lachen von sich gab.
Ohne Luce nach ihrem Ausweis zu fragen oder sie auch nur lange genug anzuschauen, um ihr Alter richtig zu schätzen, beugte er sich zu einem kleinen Kühlschrank hinunter
und öffnete ihn. Flaschengeklirr war zu hören. Er suchte und suchte. Nach einer Ewigkeit tauchte er mit einer Flasche Freixenet auf. Im Licht der orangefarbenen Lampen wirkte es so, als wäre die perlende Flüssigkeit darin auch orangefarben.
»Für den übernehm ich keine Verantwortung«, sagte er und schob die Flasche über die Theke.
Cam ließ den Korken knallen und blickte Luce mit hochgezogenen Augenbrauen an. Er goss den Freixenet mit feierlicher Geste in ein Weinglas.
»Ich möchte mich entschuldigen«, sagte er. »Ich weiß, dass ich dich ganz schön bedrängt habe. Und die Sache mit Daniel gestern Abend, das tut mir wirklich leid.« Er wartete, bis Luce nickte, erst dann fuhr er fort. »Statt durchzudrehen, hätte ich auf dich hören sollen. Schließlich bist du mir wichtig, nicht er.«
Luce betrachtete die aufsteigenden Bläschen in ihrem Glas und dachte, wenn sie ehrlich wäre, müsste sie Cam jetzt sagen, dass ihr Daniel wichtig war, nicht er. Sie musste es ihm sagen. Er bedauerte bereits, dass er ihr gestern nicht hatte zuhören wollen - vielleicht würde er jetzt damit anfangen. Sie nahm ihr Glas, um einen Schluck zu trinken, bevor sie loslegte.
»Oh, warte.« Cam legte die Hand auf ihren Arm. »Du kannst nicht trinken, bevor wir uns nicht zugeprostet haben.« Er hob sein Glas und sah ihr in die Augen. »Also? Worauf sollen wir trinken? Sag du!«
Die Tür zur Veranda ging auf und die zwei in die Jahre gekommenen Punkrocker, die draußen auf der Bank eine geraucht hatten, kamen herein. Sie starrten Luce an, und der größere von ihnen strich sich seine fettigen schwarzen Irokesensträhnen aus dem Gesicht und kam auf sie zu.
»Was feiern wir denn?« Er musterte Luce anzüglich und stieß mit seinem halb leeren Whiskeyglas gegen ihr Weinglas. Sie konnte seine dreckigen Fingernägel sehen. Er war ganz nahe gekommen und beugte sich zu ihr vor. Sie roch seinen schlechten Atem. »Hat Baby heute das erste Mal Ausgang? Wie lange denn, bevor du wieder nach Hause zu Mummy und Daddy musst?«
»Wir feiern, dass du deinen Arsch gleich wieder nach draußen bewegst«, sagte Cam in einem Tonfall, als verkündete er, dass Luce Geburtstag hatte. Er fixierte den Mann mit seinen grünen Augen, der daraufhin seine kleinen, spitzen Zähne entblößte.
»Nach draußen, ja? Nur wenn ich sie mitnehmen kann.«
Er wollte nach Luces Hand greifen. Luce zuckte zurück. So wie Cam gestern auf Daniel losgegangen war, erwartete sie nun, dass er sofort wieder total aus der Haut fahren würde. Vor allem wenn er schon den ganzen Tag hier gesessen und einen Drink nach dem anderen gekippt hatte. Aber Cam blieb bemerkenswert gelassen.
Alles, was er tat, war, die Hand des Typen mit der Schnelligkeit, Eleganz und brutalen Kraft eines Löwen wegzuschlagen, der mit einer Maus spielt.
Der Typ in der Lederjacke taumelte ein paar Schritte zurück. Cam schüttelte sich mit gelangweilter Miene die Hand aus und strich dann mit dem Finger über Luces Handgelenk, das der Mann beinahe gepackt hatte. »Entschuldigung. Du wolltest was sagen, wegen gestern Abend?«
»Ich wollte dir sagen …« Luce merkte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Direkt über Cams Kopf hatte sich ein gähnendes, schwarzes Loch geöffnet, pechfinster, das sich dehnte und streckte und weitete, bis daraus der größte und schwärzeste Schatten geworden war, den sie jemals gesehen
hatte. Ein eiskalter Hauch wehte daraus hervor, und Luce spürte, wie sogar Cams Fingerspitzen, die immer noch ihre Haut berührten, eine Frostspur hinterließen. Sie schauderte.
»Ohmeingott«, flüsterte sie.
Ein Schlag und das Geräusch von zersplitterndem Glas. Der Mann hatte sein Whiskeyglas auf Cams Kopf zerschmettert.
Cam stand langsam von seinem Hocker auf und schüttelte ein paar Splitter aus seinen Haaren. Dann drehte er sich zu dem Mann um, der mindestens doppelt so alt war wie er und fast einen Kopf größer.
Luce kauerte auf ihrem Barhocker und wünschte sich weit weg von diesem grässlichen Ort und dem Kampf, zu dem es nun gleich zwischen Cam und dem Mann kommen würde. Und weit weg von dem dräuenden
Weitere Kostenlose Bücher