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Engelsnacht

Engelsnacht

Titel: Engelsnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Kate
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großer runder Informationsschalter befand. Die Papiere und Bücher waren dort so hoch gestapelt, dass Luce die Bibliothekarin dahinter fast nicht sehen konnte. Die Unordnung erinnerte Luce an das immerwährende Durcheinander im Arbeitszimmer ihres Vaters. Die Bibliothekarin schien gerade etwas zu suchen. Mit einer Hartnäckigkeit, als würden die Bücher einen Goldschatz bergen, dachte Luce.
    »Hallo!« Die Bibliothekarin hob den Kopf, als Luce vor ihr stand, und lächelte sie an. Ja tatsächlich, sie lächelte. Ihre Haare waren nicht grau, sondern schimmerten silbern, sogar in dem schwachen Bibliothekslicht. Ihr Gesicht wirkte gleichzeitig alt und jung. Sie hatte eine blasse, fast weiße Haut, große dunkle Augen und eine kleine, spitze Nase. Als sie sich zu Luce vorbeugte, schob sie die Ärmel ihres weißen Kaschmir-Pullovers zurück. An beiden Handgelenken trug sie eine Vielzahl von Perlenarmbändern. »Kann ich dir helfen?«, flüsterte sie.
    Luce fühlte sich sofort wohl. Sie schielte auf das Namensschild auf dem Tisch. Sophia Bliss. Wie schade, dass sie sich den Titel des Buchs, das sie für ihre Hausarbeit brauchte, nicht gemerkt hatte. Sophia Bliss war die erste erwachsene Person hier an dieser Schule, deren Rat und Hilfe sie gerne angenommen hätte. So stand sie nun vor ihr, halb zufällig in der Bibliothek gelandet … da erinnerte sie sich daran, was Roland Sparks zu ihr gesagt hatte.
    »Ich bin neu hier. Mein Name ist Lucinda Price. Können Sie mir bitte sagen, wo der Ostflügel ist?«

    Die Bibliothekarin schenkte ihr das Oh-eine-begeisterte-Leserin-Lächeln, das Bibliothekarinnen Luce bereits ihr ganzes Leben lang geschenkt hatten. »Der Ostflügel liegt da drüben«, antwortete Sophia Bliss und deutete auf die Regale und hohen Fenster am anderen Ende. »Ich bin Miss Sophia und wenn ich mich nicht täusche, bist du immer am Dienstag und am Donnerstag in meinem Religionskurs. Ich freue mich schon drauf!« Sie zwinkerte Luce zu. »Falls du etwas brauchst, bin ich jederzeit für dich da. Schön, dich kennengelernt zu haben, Luce.«
    Luce lächelte ihr dankbar zu, erklärte Miss Sophia, sie freue sich schon auf den Unterricht morgen, und marschierte in Richtung Fenster. Erst nach einer Weile fiel ihr auf, dass die Bibliothekarin sie Luce genannt hatte, was Lehrer doch normalerweise nicht machten, und sie fand diese vertraute Anrede merkwürdig.
    Sie ging an den langen Lesetischen vorbei und befand sich gerade zwischen den ehrwürdig wirkenden, hohen Bücherregalen, als etwas Dunkles und Düsteres ihren Kopf streifte. Sie schaute hoch.
    Nein. Nicht hier. Bitte nicht. Lasst mir doch diesen einen Ort.
    Wenn die Schatten kamen und dann wieder gingen, wusste Luce nie, wohin sie sich verzogen, und auch nicht, wie lange es dauern würde, bis sie zurückkehrten.
    Was jetzt geschah, verstand sie noch weniger. Etwas war anders als sonst. Sie war zu Tode erschrocken, ja, aber die Eiseskälte fehlte. Im Gegenteil, ihr Gesicht brannte. In der Bibliothek war es warm, aber so warm auch wieder nicht. Und dann entdeckte sie Daniel.
    Er stand am Fenster, mit dem Rücken zu ihr und über einen halbhohen Bücherschrank gebeugt. Auf einem Schild
war SONDERSAMMLUNG zu lesen. Die Ärmel seiner schwarzen Lederjacke hatte er bis zum Ellenbogen hochgeschoben, und seine blonden Haare leuchteten im Lampenlicht wie dunkles Gold. Wieder verspürte Luce wie schon am Vormittag das Bedürfnis, auf ihn zuzugehen und sich an ihn zu schmiegen. Wieder schüttelte sie den Kopf, um diesen Gedanken loszuwerden. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können. Ganz sicher war sie sich nicht, aber es wirkte so, als würde er etwas zeichnen.
    Sie betrachtete seinen Körper und seine Bewegungen, während er zeichnete. In ihrem Innern spürte sie ein Brennen, als hätte sie eine Chilischote verschluckt. Ohne dass sie hätte sagen können warum, beschlich sie plötzlich eine dunkle Ahnung, dass David ein Porträt von ihr anfertigte.
    Sie sollte besser nicht zu ihm hingehen. Schließlich kannte sie ihn ja überhaupt nicht, sie hatten noch kein einziges Wort miteinander gesprochen. Ein Stinkefinger von ihm und ein paar böse Blicke, darauf hatte sich die Kommunikation zwischen ihnen beschränkt. Doch aus irgendeinem Grund schien es ihr plötzlich lebenswichtig herauszufinden, was er da in seinen Skizzenblock zeichnete.
    Dann erinnerte sie sich auf einmal. Der Traum, den sie in der Nacht zuvor gehabt hatte. Wie ein Blitz durchzuckte es

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