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Engelsnacht

Engelsnacht

Titel: Engelsnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Kate
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in Wirklichkeit vollkommen durcheinander war. Aber konnte sie ihm wirklich davon erzählen? Sollte sie? Er nickte, was sie als Aufforderung verstand, weiterzureden. Seine Augen schienen tief in ihr Inneres zu dringen, um dort die Worte hervorzulocken.
    »Das geht nun schon zwölf Jahre so«, sagte sie schließlich mit einem Schauder. »Früher kamen sie nachts, wenn ich mich in der Nähe von Bäumen oder von Wasser befand,
aber jetzt …« Ihre Hände zitterten. »Jetzt sind sie eigentlich immer da.«
    »Und was machen diese Schatten?«
    Man hätte fast meinen können, dass er nur nachfragte, damit sie sich irgendwie besser fühlte, oder weil er mehr darüber wissen wollte, um nachher seine Witze reißen zu können, wäre da nicht seine plötzlich ganz heisere Stimme gewesen und sein Gesicht, aus dem alle Farbe gewichen war.
    »Normalerweise beginnt es damit, dass sie über mir lauern.« Sie langte über Daniels Rücken und legte die Hand auf seinen Nacken, um ihm zu zeigen, was sie meinte. Eine Berührung, die nichts mit dem Bedürfnis nach körperlicher Nähe zu tun hatte - sie wusste nur nicht, wie sie es ihm sonst so schnell hätte erklären können. Besonders seit die Schatten nicht mehr nur über ihr schwebten, sondern ihren Körper so spürbar, greifbar bedrängten.
    Daniel zuckte nicht zusammen, deshalb fuhr sie fort. »Und manchmal werden sie richtig kühn.« Sie drehte sich, sodass sie nun vor ihm kniete, und legte ihm die Hände auf die Brust. »Dann greifen sie mich direkt von vorne an.« Ihre Hände schwebten jetzt vor seinem Gesicht. Sie zitterte am ganzen Körper und konnte es selbst nicht fassen, dass sie tatsächlich jemandem - und dann auch noch Daniel - von den schrecklichen Wesen erzählte, die sie immer wieder sah. Ihre Stimme wurde zu einem Flüstern und sie sagte: »In letzter Zeit scheinen sie erst dann zufrieden zu sein«, sie schluckte, »wenn jemand durch sie zu Tode gekommen ist und ich ohnmächtig auf dem Boden liege.«
    Sie gab seinen Schultern einen winzigen Schubser, sie wollte ihn damit nicht erschrecken, aber diese leichte Berührung mit den Fingerspitzen reichte aus, um Daniel nach hinten umkippen zu lassen.

    Luce war davon so überrascht, dass sie selbst das Gleichgewicht verlor und auf ihm landete. Daniel lag flach auf dem Rücken und blickte sie mit großen Augen an.
    Sie hätte es ihm nicht erzählen sollen. Da war sie ihm nun so nahe wie noch nie zuvor und dabei hatte sie ihm gerade ihr tiefstes Geheimnis enthüllt, das sie endgültig als Person brandmarkte, die nicht ganz richtig im Kopf war.
    Wie kam es nur, dass sie ihn selbst in diesem Augenblick noch küssen wollte?
    Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. So schnell und heftig wie noch nie. Dann merkte sie, dass es nicht nur ihr eigenes Herz war, das pochte. Es war auch seines, ihre Herztöne jagten einander. Ein verzweifeltes Zwiegespräch, wie sie es mit Worten vielleicht niemals führen konnten.
    »Und du siehst sie wirklich?«, flüsterte er.
    »Ja«, flüsterte sie und wäre am liebsten aufgestanden und hätte das alles niemals gesagt. Aber sie konnte sich nicht rühren, sie brachte es nicht fertig, sich von Daniels Brust zu lösen. Sie versuchte, seine Gedanken zu erraten - was jeder Mensch nach einem solchen Geständnis wohl versuchen würde. »Lass mich raten«, sagte sie niedergeschlagen, »jetzt bist du erst recht der Meinung, dass ich woanders besser aufgehoben wäre, in einer psychiatrischen Anstalt nämlich.«
    Er schob sich unter ihr hervor, sodass sie nun auf dem Boden lag, die Stirn auf die Steine gepresst. Sie hob das Gesicht und sah an ihm hoch. Seine Füße, die Beine, der Oberkörper, sein Gesicht. Er schaute zum Wald.
    »So etwas war noch nie«, sagte er. »Das geschieht jetzt das erste Mal.«
    Luce stand auf. Wie demütigend, hier allein auf den Kieseln zu liegen. Außerdem schien er gar nicht gehört zu haben, was sie ihm erzählt hatte.

    »Was war noch nie? Welche anderen Male denn?«
    Er wandte sich zu ihr und nahm ihr Gesicht zwischen die Hände. Sie hielt den Atem an. Er war so nah. Seine Lippen waren so nah. Luce zwickte sich in den Oberschenkel, um sich zu vergewissern, dass sie nicht träumte. Sie war hellwach. Sie träumte nicht.
    Dann löste er sich fast gewaltsam von ihr. Er stand vor ihr, sein Atem ging schnell, die Arme hingen steif an ihm herab.
    »Erzähl mir noch einmal, was du gesehen hast.«
    Luce drehte sich von ihm weg und schaute auf den See. Das Wasser war rein und klar, sanfte

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