Engelspakt: Thriller (German Edition)
Kardinal Gasperettis hatte sie den kleinen Apparat lieber nicht eingeschaltet. Selbst nach zwei Tagen machte ihr die unselige Begegnung noch zu schaffen.
Als inoffizielle Mitarbeiterin des Vatikans hatte sie in der Altstadt von Rom, gleich beim Campo de’ Fiori in der Via dei Farnesi, ein Appartement angemietet. Einmal hatte ihr die Nähe zum Vatikan und zum Tiber gefallen, und dann hatten die unvergleichliche Einrichtung und Atmosphäre der Wohnung ihr Herz im Sturm erobert. Ein weitläufiger Wohnraum mit einem eingebauten Bücherregal und einem Kamin, dazu eine großzügige, mit allem Komfort ausgestattete Küche, ein geräumiges Schlafzimmer sowie ein perfektes Bad. Ebenso genoss sie es, die einzige Mieterin des Stockwerks zu sein. Auf neugierige Nachbarn, die beobachteten, wann sie kam oder ging, konnte sie verzichten.
Sie stieß einen Seufzer aus und schloss die Textdatei, an der sie den Vormittag über gearbeitet hatte. Das Gespräch mit Gasperetti hallte im Augenblick zu stark in ihrem Inneren nach. Natürlich war ihr klar gewesen, dass das Bestreben des Kardinals, sie für das Lux zurückzugewinnen, all die Monate wie ein Damoklesschwert über ihr gehangen hatte, dennoch hatte sie diese Tatsache verdrängt. Nun hatte Gasperetti sie kalt erwischt und benutzte sogar den Tod von Darius, um sie emotional zu erpressen und weiterhin an das Lux zu binden.
Darius …
Catherine hatte sich oftmals gefragt, wo sie heute stehen würde, wenn ihr Mentor nicht gewesen wäre. Er hatte ihr als Ersatzvater echte Freundschaft geschenkt, an sie und ihre mediale Gabe geglaubt, als ihre Mutter – von der sie seit einem Jahr wusste, dass sie gar nicht ihre leibliche Mutter war – sich von ihr abgewendet und sie dem KIMH überlassen hatte. Darius war der Fels in der Brandung gewesen, den sie während ihrer Kindheit und Jugend so dringend gebraucht hatte. Er war für sie so etwas wie eine Familie gewesen. Catherine hatte nicht einmal den Hauch einer Ahnung, wer ihre leiblichen Eltern waren, ob die beiden noch lebten oder sich je für sie interessiert hatten. Nur eines wusste sie: Sie war ein Findelkind, und dank einer glücklichen Fügung des Schicksals war ihr ein Leben in ständiger Existenzangst und Verwirrung erspart geblieben.
Um sich abzulenken, öffnete Catherine das E-Mail-Programm und rief die neuen Nachrichten ab. Ein Studienkollege hatte ihr geschrieben. Es ging ihm ausgezeichnet, er arbeitete sich gerade in einen neuen Job ein und polierte sein Spanisch auf. Die nächste E-Mail stammte von ihrer Schwester Oberin aus Chicago. Sie berichtete, sie habe gerade Catherines neuestes Buch gelesen. Es sei sehr interessant, doch irgendwie sei die Bedeutung der Religion darin ein klein wenig zu kurz gekommen, außerdem habe der Aspekt des weiblichen Potenzials im Menschsein relativ großes Gewicht. Catherine schluckte. Hatte Ciban etwa recht? War sie mit ihrem letzten Buch über das verborgene Männliche und Weibliche im Selbst doch zu weit gegangen?
Während sie die wichtigsten E-Mails beantwortete, klingelte das Telefon.
Catherine erhob sich und ging in den kleinen Flur, wo ein alter Telefonapparat auf einem antiken Schränkchen stand. Der Anruf kam aus dem Archiv und betraf die Recherchen an ihrem aktuellen Buchprojekt Die Wahrheiten und die Irrtümer der Inquisition . Der Fall Jeanne d’Arc hatte sie auf die Idee gebracht. Wie konnte es sein, dass die Kirche, die von sich behauptete, die eine Wahrheit zu vertreten, Johanna von Orleans erst als Ketzerin auf dem Scheiterhaufen verbrennen und ein halbes Jahrhundert später heiligsprechen ließ? Auch die Täter-Opfer-Rolle in der Inquisition interessierte Catherine sehr. Deshalb wollte sie in ihrem Buch möglichst beide Seiten zu Wort kommen lassen und nicht zuletzt der Frage »Was ist Wahrheit?« zumindest ein klein wenig auf den Grund gehen.
Papst Leo, der um Catherines kritische Schriften wusste, hatte ihr als Vertrauensbeweis Zugang zu den Vatikanischen Archiven gewährt. Natürlich war ihr klar, dass diese Erlaubnis nicht alle und schon gar nicht die geheimsten Archive einschloss. Auch Kardinal Ciban hatte ganz sicher ein Auge auf ihre Nachforschungen. Dennoch hatte sie inzwischen auf weit mehr Schriften Zugriff als noch während ihres Disziplinarverfahrens.
Bruder Anselmus, einer der vielen Mitarbeiter des Archivs, war am Apparat. »Ich bin in der Torquemada-Sache ein Stück weitergekommen und habe ein paar Dokumente ausgegraben, die für Ihre Arbeit sehr
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