Engelsstern
interessierte ihn gar nicht. Tatsächlich schien er heute mit nichts und niemand anderem als mit mir hier sein zu wollen.
»Ich finde den Namen schön.« Garreth lächelte.
Wieder lief ich rot an. »Und wer hat deinen Namen ausgesucht, deine Mutter oder dein Vater?«, fragte ich.
»W eder noch. Ich habe keine Eltern, jedenfalls keine leiblichen.«
Ich japste kurz nach Luft, was mir sofort peinlich war.
»Kein Problem. Alles gut. Ich lebe bei einer wunderbaren Familie.«
Sein wunderbares Lächeln sagte, dass ich es gut seinlassen sollte, aber so einfach war das nicht. Vielleicht lebte er in einer Pflegefamilie oder war adoptiert worden? Ich zügelte meine Neugier und murmelte bloß ein leises, aber ehrliches »Entschuldige«.
»Aber er hat eine ziemlich coole Bedeutung: Licht.«
Wie machte er das? Egal, wie blöd ich mir gerade vorkam, er brauchte nur dieses perfekte Lächeln anzuknipsen, und ich vergaß alles andere.
»Passt zu dir«, sagte ich schmunzelnd.
»Hast du Geschwister?«
»Nein. Es gibt nur mich und meine Mom.«
»Dann steht ihr euch sehr nah.«
»Ja. Wir haben ja nur uns.«
Und meine Mutter ging sicher davon aus, dass ich gerade an meinen Hausaufgaben saß. Das Gewissen zwickte.
»Du musst meinetwegen nicht unsicher sein«, flüsterte er mit sanfter Stimme. Er hatte mein Unbehagen gespürt und unterbrach meine düsteren Gedanken.
»Bin ich nicht, ich …«
Garreth blickte zu Boden. »Du willst mich wegen gestern fragen, stimmt’s?«
»Ich …«, stotterte ich. Er sah mich an.
»Ich seh’s in deinen Augen.« Sein Gesicht war ganz nah an meinem.
»Ich weiß wirklich nicht, was da gestern passiert ist«, flüsterte ich.
»Hast du Angst, es herauszufinden?«
»Sollte ich?«
»Ich möchte dich was fragen. Erinnerst du dich an deine Vergangenheit? Ich meine nicht an gestern oder letzte Woche, aber fragst du dich manchmal, ob du schon mal gelebt hast?« Seine Stimme klang bei diesem geschickten Themawechsel warm und nachdenklich. Langsam hob ich den Kopf und sah ihn wieder an.
»W ie wenn man ein Déja vu hat?«
»So in der Art. Aber deutlicher.«
»Sicher.«
Ich dachte einen Moment nach. Wie ließen sich Gefühle und Erinnerungen, die manchmal aus dem Nichts auftauchten und so klar waren, als sei alles erst gestern passiert, sonst erklären? So ähnlich ging es mir mit Garreth, da war ein merkwürdiges Gefühl von Vertrautheit, obwohl er eigentlich ein Fremder war. Was ich allerdings zu ändern hoffte.
»W as hat das mit gestern zu tun?«
»Mehr, als du ahnst«, sagte er leise und sah weg. »Glaubst du an so was wie Vorsehung? Dass es vorherbestimmt ist, dass gewisse Leute in unser Leben treten, aus einem Grund unseren Weg kreuzen? Dass alles nach einem Masterplan abläuft?«
Er griff nach der Kette an meiner Schaukel und zog mich näher zu sich heran. Unsere Knie berührten sich, was Schockwellen durch meinen Körper sandte. Er roch unglaublich gut, als ob er von einer uralten Aura umgeben wäre, er strömte Geborgenheit und Trost aus. Ich erkannte den Duft von Vanille, gemischt mit einem erdigen Geruch wie Teakholz, herb und männlich.
»Glaubst du daran?« Seine Augen waren gefühlvoll, als er meinen Blick suchte. Ich kehrte zum Thema zurück.
»W as willst du mir damit sagen?«, flüsterte ich, eher zu mir selbst.
Es war nicht leicht, in seiner Nähe einen kühlen Kopf zu behalten. Der vertraute Geruch stieg mir wieder in die Nase, als er sich zu mir beugte. Mein Räucherstäbchen. In mir regte sich ein Gefühl, dass ich nicht benennen konnte, wie eine ferne Erinnerung irgendwo im Hinterkopf, die man nicht zu fassen bekommt. Er zögerte und atmete tief durch.
»Glaubst du an den Himmel?«, flüsterte Garreth. Dabei war sein Gesicht so nah an meinem, dass ich seinen Atem spüren konnte.
»Ja«, erwiderte ich ganz leise. Ich konnte ihm schlecht sagen, dass ich gerade im Himmel war. Hier und jetzt.
»Und an Engel?«
Wie in einem Flashback stand ich wieder am Bordstein … mein Fuß rutschte ab … Garreth kam mir zu Hilfe … wie merkwürdig, dass niemand sonst etwas mitbekommen hatte, als ob die Zeit stillgestanden hätte oder rückwärtsgelaufen wäre oder so.
Ein paar Kinder störten die Stille und rannten zum Klettergerüst, aber sie erschienen mir wie Geisterwesen. Garreth strich mit dem Daumen über meine Stirn, als könnte er meine Gedanken spüren. Mein Puls wurde schneller, mein Herz klopfte immer lauter … ich musste an Flügel denken.
Ich sah langsam
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