Engelsstern
reden.
Angst kroch in mir hoch, und als wüsste er, dass ich ihn brauchte, saß Garreth auf dem Bett, als ich mich umdrehte.
»Teagan an Claire?«
»Ja. Wahrscheinlich ist sie noch nicht mal zu Hause.«
Ein Hauch von Eifersucht lag in meiner Stimme. Ich konnte nicht anders. Claire war meine beste Freundin.
»Ich kapier’s nicht. Ist ja in Ordnung, dass sie noch andere Freunde außer mir haben will, aber … jeder wäre besser als die da . Die sind doch echt das Letzte! Und ich kann schon gar nicht mehr zählen, wie oft sich Claire über Brynn Hanson beschwert hat.«
Garreth tätschelte den Platz neben sich auf dem Bett, und ich schlurfte zu ihm hin. Schweigend zog er mich an sich. Im schwachen Licht der Straßenlaterne, das sich den Weg durch mein Fenster bahnte, schienen seine Augen weich, und ich fühlte mich rätselhafterweise sofort viel ruhiger, als ob er meine Angst einfach weggewischt hätte.
»W ie machst du das? Wie beruhigst du mich so schnell?«
»Schwer zu erklären. Ich stelle mich auf dich ein. Ich atme, wenn du atmest. Mein Herz schlägt im Takt mit deinem. Ich bringe uns in Einklang, und dann – verlangsame ich einfach alles. Eigentlich ganz simpel.«
Eine Erinnerung stieg in mir auf, ich wurde nachdenklich.
»W as ist?«, fragte er.
Ich zupfte an den Fransen meiner Überdecke herum, damit meine Hände was zu tun hatten.
»Als Claire letztes Jahr mit ihrer Familie im Urlaub war, war das die längste Woche meines Lebens. Ich musste jeden Tag den Bus nehmen. Ich musste jeden Tag alleine Mittag essen. Niemand hat sich zu mir gesetzt. Keiner hat mit mir geredet. Ich bin in Selbstmitleid versunken und hatte das Gefühl, nicht dazuzugehören. An einem Tisch saßen die Sportler, an einem anderen die Goths, und Brynn und ihre Freundinnen guckten alle paar Minuten zu mir rüber und lachten sich schlapp. Ich saß allein da. Aber weißt du was? Als ich so dasaß, begriff ich, dass ich kein Monster bin – sondern dass ich wohl selbst schuld bin, weil ich nie versucht habe, mit anderen was zu unternehmen.«
Ich schielte zu Garreth hinüber. Er sah mich zärtlich an, nicht mitleidig. Es war, als würde er die Erinnerung mit mir teilen.
»Ich beschloss, mich ab sofort in das Leben der anderen hineinzuschleichen. Ich war verzweifelt genug, es sogar mit Brynns Freundinnen zu versuchen – wenn die mich akzeptierten, würde sie das auch tun. Ich warf bereitwillig alle Loyalität für Claire über Bord, bloß weil ich einsam war.«
»Das bedeutete, dir selbst gegenüber illoyal zu sein«, sagte Garreth.
»Am nächsten Tag«, fuhr ich flüsternd fort, »war das Gefühl weg. Ich hatte urplötzlich meine innere Ruhewiedergefunden.« Ich sah ihn an. »Ich habe die Ruhe gefühlt, die du mir gibst. Jetzt erkenne ich sie. Das warst du, nicht?«
Garreth schob mir zärtlich eine Haarsträhne hinters Ohr und nickte.
Jetzt wusste ich: Engel gibt es. Und ich konnte mich sogar daran erinnern, von einem berührt worden zu sein. Garreth war immer bei mir gewesen. Immer.
Geistesabwesend zog er mit dem Zeigefinger die Konturen meines Gesichts nach, von der im Moment dauergerunzelten Stirn die Nase runter bis zur Wange, auf die er seine wärmende Hand legte. Sein Daumen strich über meine Lippen. Trotz der Ruhe, die er gerade in mir erzeugt hatte, schoss mir jetzt das Blut durch den Körper und direkt ins Herz.
Seine Lippen schwebten dicht vor meinen, sein Atem wärmte mein Gesicht. Ich schloss die Augen und wartete auf seinen Kuss. Als seine Lippen meine berührten, fühlte ich, dass wir uns bewegten, nach oben schwebten. Durch meine Augenlider drang Licht, als ob jemand das Licht im Zimmer angeschaltet hätte. In Panik machte ich die Augen auf und suchte nach einer halbwegs plausiblen Ausrede, weil ich auf das entgeisterte Gesicht meiner Mutter in der Tür gefasst war, aber sie war gar nicht da. Die Tür war zum Glück immer noch zu. Ich sah Garreth an, um eine Erklärung zu bekommen, wurde aber sofort wieder von einem Gefühl der Ruhe durchströmt.
In dem Moment verstand ich, was es bedeutete, seinem Schutzengel zu begegnen. Was Garreth mit mirteilte, ließ sich nicht in Worte fassen. Er ließ mich Gefühle empfinden, wie sie reiner nicht sein konnten. Alle Antworten auf meine unzähligen Fragen waren in seinen Augen zu lesen … wer er war, was er war … das Band zwischen uns. Alles war da.
Schwerelos wurde ich wieder auf der sicheren Matratze abgesetzt.
»Schlaf jetzt. Du hast heute Abend viel
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