Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engelsstimme

Engelsstimme

Titel: Engelsstimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
Vom Netzwerk:
was das war, das hat er mir nicht gesagt. Er sagte bloß, dass er einen Haufen Kohle in Aussicht hätte beziehungsweise sehr viel Geld. Er hätte nie ›einen Haufen Kohle‹ gesagt. Er hat nicht so geredet. Hat immer richtig vornehm dahergeredet und sich gewählt ausgedrückt. Er war unheimlich höflich. Der Typ war in Ordnung. Hat mir nie was getan und mich immer bezahlt. Da gibt’s Schlimmere als ihn. Manchmal wollte er auch bloß mit mir reden. Er war einsam, zumindest hat er das selber gesagt. Hat behauptet, er hätte außer mir keinen Freund.«
    »Hat er irgendetwas über seine Vergangenheit gesagt?«
    »Nein.«
    »Nichts darüber, dass er einmal ein Kinderstar gewesen ist?«
    »Nein. Kinderstar? Was hat er gemacht?«
    »Hast du ein Messer bei ihm gesehen, das aus der Hotelküche hätte sein können?«
    »Ja, ich habe ein Messer bei ihm gesehen, aber ich habe keine Ahnung, woher es stammte. Als ich zu ihm kam, hat er damit an seinem Weihnachtsmannkostüm rumgefummelt. Er sagte, dass er für nächstes Jahr ein neues Kostüm brauchen würde.«
    »Und hatte er kein Geld bei sich, außer dem, was er dir gegeben hat?«
    »Nein, das glaube ich nicht.«
    »Du hast ihn nicht ausgeraubt?«
    »Nein!«
    »Hast ihm nicht die halbe Million weggenommen, die in seinem Zimmer war?«
    »Eine halbe Million? Hat er ’ne halbe Million gehabt?«
    »Soweit ich weiß, brauchst du immer Geld. Das kann man schon daran sehen, dass du anschaffen gehst. Da sind Leute hinter dir her, denen du eine Menge schuldest. Sie haben deiner Familie gedroht …«
    Reynir warf seiner Schwester grimmige Blicke zu.
    »Guck nicht sie an, sondern mich. Guðlaugur hatte Geld in seinem Zimmer, und zwar viel mehr, als er dir schuldete. Er hatte vielleicht die Goldmine schon angezapft. Du hast das Geld gesehen, und du wolltest mehr. Du hast ihm Gefälligkeiten erwiesen, von denen du glaubtest, dass du mehr dafür kriegen müsstest. Er hat sich geweigert, ihr habt euch gestritten, du hast dir das Messer geschnappt und ihn damit angegriffen, er hat sich so lange gewehrt, bis es dir gelungen ist, ihm das Messer in die Brust zu stoßen und ihn zu töten. Du hast das Geld genommen …«
    »Du Scheißkerl!«, zischte Reynir. »So ein verdammter Schwachsinn!«
    »… und hast seitdem gekifft oder gefixt, oder was auch immer …«
    »Du bist echt ein Arsch!«, brüllte Reynir.
    »Mach doch weiter mit der Geschichte«, rief Ösp. »Sag ihm das, was du mir gesagt hast, sag ihm alles!«
    »Alles? Was meinst du damit?«, fragte Erlendur.
    »Er hat mich gefragt, ob ich ihm einen Gefallen tun würde, bevor er zu der Weihnachtsfeier ging«, sagte Reynir. »Er sagte, dass die Zeit knapp sei, aber er hätte Geld und würde gut dafür bezahlen. Und als wir da gerade rummachten, ist diese alte Schrulle reingeplatzt.«
    »Alte Schrulle?«
    »Ja.«
    »Was für eine alte Schrulle?«
    »Die uns gestört hat.«
    »Erzähl es ihm«, hörte man von Ösp, die hinter Erlendur stand. »Erzähl ihm, wer es war!«
    »Über wen redest du?«
    »Wir hatten vergessen abzuschließen, weil wir uns beeilen mussten, und auf einmal ging die Tür auf und sie ist da reingeschneit.«
    »Wer?«
    »Ich weiß nicht, wer das war. Irgendeine alte Tussi.«
    »Und was geschah dann?«
    »Ich weiß es nicht. Ich hab die Biege gemacht. Sie hat ihn angeschrien, und ich hab gemacht, dass ich wegkam.«
    »Warum bist du nicht gleich mit diesen Informationen zu uns gekommen?«
    »Ich hab nichts mit der Polizei am Hut. Hinter mir sind alle möglichen Leute her, und wenn die erfahren, dass ich mit den Bullen rede, glauben sie, dass ich sie verzinken will, und dann bin ich dran.«
    »Wer war diese Frau, die euch gestört hat? Wie hat sie ausgesehen?«
    »Ich hab sie mir nicht genau angeguckt. Ich hab gemacht, dass ich wegkam. Er klinkte völlig aus. Schob mich von sich weg, schrie irgendwas und klinkte völlig aus. Er schien eine Scheißangst vor ihr zu haben.«
    »Was hat er geschrien?«
    »Steffí.«
    »Was?«
    »Steffí. Das war das Einzige, was ich gehört habe. Steffí. Er hat sie Steffí genannt, und er hatte eine Scheißangst vor ihr.«

Zweiunddreißig
    Sie stand vor der Tür zu seinem Zimmer und drehte ihm den Rücken zu. Erlendur blieb stehen, betrachtete sie eine Weile und sah, wie sie sich verändert hatte seit dem Augenblick, als sie zum ersten Mal mit ihrem Vater ins Hotel gerauscht kam. Jetzt war sie nur eine erschöpfte und müde Frau mittleren Alters, die immer noch allein mit ihrem

Weitere Kostenlose Bücher