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Engelsstimme

Engelsstimme

Titel: Engelsstimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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die Stadt abgehauen. Wir sind halb verrückt geworden auf der Suche nach ihr, aber dann habt ihr sie gefunden und hier auf die Station gebracht. Da habt ihr auch nicht sonderlich darauf Wert gelegt, ihre Menschenwürde zu respektieren.«
    »Wir?«
    »Ich weiß, dass du von der Polizei bist. Ihr seid nicht gerade sehr zuvorkommend mit ihr umgegangen.«
    »Wann war das?«
    Er überlegte. Er selber hatte sie und zwei andere Patienten begleitet, als sie am Lækjartorg urplötzlich verschwunden war. Er konnte sich gut erinnern, wann das gewesen war, denn am gleichen Tag hatte er einen persönlichen Rekord im Gewichtheben aufgestellt.
    Das Datum stimmte überein mit dem Tag, an dem der Junge misshandelt worden war.
    »Wurde ihr Ehemann nicht benachrichtigt, als sie abgehauen war?«, fragte Elínborg.
    »Wir wollten ihn gerade anrufen, als ihr sie gefunden habt. Wir geben ihnen immer etwas Zeit, damit sie sich auch von selber wieder einfinden können. Sonst würden wir nur noch am Telefon hängen.«
    »Weiß ihr Mann, dass sie bei euch The Fugitive genannt wird?«
    »Sie wird nicht bei uns so genannt, sondern nur von mir. Er weiß nichts davon.«
    »Weiß er, dass sie manchmal ausreißt?«
    »Ich habe ihm nichts gesagt. Sie kommt ja immer wieder zurück.«
    »Es ist nicht zu fassen«, sagte Elínborg.
    »Man muss sie ganz schön unter Stoff stellen, damit sie nicht abhaut«, sagte der Aufseher.
    »Das verändert die ganze Sachlage!«
    »Komm jetzt, liebe Dóra«, sagte der Aufseher, und die Tür zur Station schloss sich hinter ihnen.
     
    Elínborg starrte Erlendur an.
    »Ich war mir so sicher, dass er es war. Dass es der Vater war. Aber jetzt kann es sein, dass sie sich nach Hause abgesetzt hat, über den Jungen hergefallen und dann wieder abgehauen ist. Wenn doch der dumme Junge endlich seinen Mund aufmachen würde!«
    »Weswegen sollte sie ihrem Sohn etwas zuleide tun?«
    »Ich habe keine Ahnung«, sagte Elínborg. »Vielleicht hört sie Stimmen.«
    »Und die gebrochenen Finger und die blauen Flecken? All das, was im Laufe der Jahre passiert ist. War das dann immer sie?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Hast du mit dem Vater gesprochen?«
    »Ich komme gerade von ihm.«
    »Und?«
    »Wir sind natürlich nicht gerade die besten Freunde. Er hat seinen Sohn nicht zu sehen bekommen, seit wir in sein Haus eingedrungen sind und alles auf den Kopf gestellt haben. Er hat jede Menge Verwünschungen für mich auf Lager gehabt und …«
    »Was hat er über seine Frau gesagt, über die Mutter?«, unterbrach Erlendur sie ungeduldig. »Er muss sie doch im Verdacht gehabt haben.«
    »Der Junge hat nichts gesagt.«
    »Außer, dass er sich nach seinem Vater sehnt«, sagte Erlendur.
    »Ja, genau. Der Vater findet ihn in seinem Zimmer und glaubt, dass er so aus der Schule nach Hause gekommen ist.«
    »Du hast den Jungen im Krankenhaus besucht und gefragt, ob es sein Vater war, der ihn angegriffen hat, und du glaubtest eine Reaktion zu sehen, die dich zu der Überzeugung gebracht hat, dass es der Vater gewesen ist.«
    »Ich muss das missverstanden haben«, sagte Elínborg deprimiert. »Ich habe da was in sein Verhalten hineininterpretiert …«
    »Aber wir haben nichts in der Hand, was beweist, dass es die Mutter war. Wir haben nichts, was beweist, dass es nicht der Vater war.«
    »Ich habe ihm gesagt, dass ich seine Frau im Krankenhaus besucht und mit ihr gesprochen habe, und dass niemand weiß, was sie an diesem Tag unternommen hat, an dem Tag, als ihr Sohn zusammengeschlagen wurde. Er war völlig perplex. Es schien ihm überhaupt nicht eingefallen zu sein, dass seine Frau aus der Klinik entwischen könnte. Er behauptet immer noch, dass es die Jungs aus der Schule waren. Er sagte, der Junge würde es bestimmt sagen, wenn es seine Mutter gewesen wäre. Er ist davon überzeugt.«
    »Warum sagt der Junge denn nicht, dass sie es war?«
    »Er steht natürlich unter Schock, der Ärmste. Ich weiß es nicht.«
    »Liebe?«, fragte Erlendur. »Trotz allem, was sie ihm angetan hat.«
    »Oder Angst«, erwiderte Elínborg. »Vielleicht eine panische Angst davor, dass sie das noch einmal macht. Vielleicht will er seine Mutter durch Schweigen in Schutz nehmen. Keine Ahnung.«
    »Was sollen wir deiner Meinung nach tun? Sollen wir die Anklage gegen den Vater zurückziehen?«
    »Ich werde mal mit der Staatsanwaltschaft reden und hören, was sie dazu meinen.«
    »Genau, damit würde ich an deiner Stelle anfangen. Noch was ganz anderes: Hast du die Frau angerufen,

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