Engelsstimme
vielleicht wegen Reynir. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht …«
Sie schwiegen beide.
»Es war einfach aus bei mir«, fuhr sie fort. »Ich habe noch nie so etwas erlebt, ich bin noch nie so durchgedreht vor Wut. Ich habe plötzlich wieder vor mir gesehen, was in dieser Hütte passiert ist. Hab sie vor mir gesehen. Das ist alles vor mir abgespult, und da hab ich das Messer genommen und versucht, zuzustechen, wo ich konnte. Er hat versucht, sich zu wehren, aber ich habe immer wieder zugestochen, bis er sich nicht mehr bewegt hat.«
Sie schaute Erlendur an.
»Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwierig ist. Dass es so schwierig ist, jemanden umzubringen.«
Elínborg erschien in der Zimmertür und gab Erlendur zu verstehen, dass sie sich wunderte, was da drinnen passierte und warum das Mädchen nicht festgenommen würde.
»Wo ist das Messer?«, fragte Erlendur.
»Das Messer?«, wiederholte Ösp und kam auf ihn zu.
»Das du verwendet hast.«
Sie zögerte einen Augenblick.
»Ich habe es wieder an seinen Platz getan«, sagte sie dann. »Ich habe es gründlich gereinigt, sodass man nichts sehen konnte. Es lag schon wieder an Ort und Stelle, bevor ihr gekommen seid.«
»Und wo ist es?«
»Ich habe es an seinen Platz getan.«
»In der Küche, zusammen mit den anderen Messern?«
»Ja.«
»Es gibt bestimmt fünfhundert solcher Messer im Hotel«, sagte Erlendur resigniert. »Wie sollen wir es finden?«
»Ihr könnt beim Weihnachtsbüfett beginnen.«
»Beim Weihnachtsbüfett?«
»Da isst bestimmt gerade jemand damit.«
Vierunddreißig
Erlendur überließ Ösp Elínborg und den Polizisten und beeilte sich, wieder zurück zu seinem Zimmer, wo Eva Lind auf ihn wartete. Er steckte seine Karte in den Schlitz, riss die Tür auf und sah, dass Eva Lind das große Fenster weit geöffnet hatte. Sie saß auf dem Fensterbrett und starrte nach unten, wo der Schnee einige Stockwerke tiefer zu Boden fiel.
»Eva«, sagte Erlendur ruhig.
Eva sagte etwas, was er nicht hören konnte.
»Komm, mein Mädchen«, sagte er und näherte sich ihr vorsichtig.
»Das sieht ganz einfach aus«, sagte Eva Lind.
»Eva, komm«, sagte Erlendur leise. »Komm nach Hause.«
Sie drehte sich um. Sie schaute ihn eine ganze Weile an und nickte dann.
»Gehen wir«, sagte sie leise, schwang sich vom Fensterbrett herunter und machte das Fenster zu.
Er ging zu ihr hin und küsste sie auf die Stirn.
»Habe ich dir deine Jugend geraubt?«, fragte er leise.
»Hä?«, sagte sie.
»Nichts«, sagte er.
Erlendur schaute ihr lange in die Augen. Manchmal konnte er weiße Schwäne darin erkennen.
Jetzt waren sie schwarz.
Erlendurs Handy klingelte im Aufzug auf dem Weg nach unten ins Foyer. Er erkannte die Stimme sofort.
»Ich wollte dir bloß frohe Weihnachten wünschen«, sagte Valgerður, und es hatte den Anschein, als flüsterte sie ins Telefon.
»Danke gleichfalls«, sagte Erlendur. »Frohe Weihnachten.«
Als sie ins Foyer kamen, schaute Erlendur in den Speisesaal, der voller Ausländer war, die sich an den feierlich gedeckten Tischen in allen möglichen Sprachen so angeregt unterhielten, dass das Stimmengewirr das ganze Erdgeschoss erfüllte. Er konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass einer von ihnen die Mordwaffe in der Hand hielt.
Er sagte dem Empfangschef, dass es durchaus sein konnte, dass Rósant die Frau auf ihn angesetzt hatte, die mit ihm geschlafen und dafür Geld verlangt hatte. Der Empfangschef sagte, dass ihm auch schon dieser Verdacht gekommen sei. Er hatte bereits den Hoteleigentümern mitgeteilt, was hier im Hotel vor sich ging, aber er war sich nicht sicher, ob in dieser Sache etwas unternommen werden würde.
Erlendur sah, wie der Hotelmanager aus einiger Entfernung Eva Lind erstaunt anstarrte. Er wollte ihn einfach ignorieren, aber der Hotelmanager reagierte sofort und steuerte auf ihn zu.
»Ich wollte mich bloß bei dir bedanken, und du brauchst selbstverständlich nicht für das Zimmer zu bezahlen!«
»Ich habe die Rechnung bereits beglichen«, sagte Erlendur. »Auf Wiedersehen.«
»Was ist mit Henry Wapshott?«, fragte der Hotelmanager, der jetzt dicht vor Erlendur stand. »Was wollt ihr mit ihm machen?«
Erlendur blieb stehen. Er hielt Eva Lind an der Hand, die den Hotelmanager stumpf anstarrte.
»Wir schicken ihn zurück nach England. Sonst noch was?«
Der Hotelmanager schwankte.
»Wirst du etwas wegen dem unternehmen, was dir das Mädchen vorgelogen hat, das mit den Konferenzgästen?« Erlendur
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