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Engelsstimme

Engelsstimme

Titel: Engelsstimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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Namensschild. Ösp. Eine Espe.
    »Arbeitest du schon lange hier?«, fragte Erlendur.
    »Fast ein Jahr«, sagte Ösp leise und blickte ihn an. Er schien ihr nichts tun zu wollen. Sie zog die Nase hoch und richtete sich auf ihrem Stuhl auf. Es hatte sie offenbar sehr mitgenommen, die Leiche zu entdecken. Ein Schauder durchfuhr sie. Der Name passt gut, dachte Erlendur bei sich. Sie zittert wie Espenlaub.
    »Macht es dir Spaß, hier zu arbeiten?«, fragte Erlendur.
    »Nein«, erwiderte sie.
    »Und warum bist du dann hier?«
    »Irgendwo muss man ja schließlich arbeiten.«
    »Was ist denn so schlecht an diesem Job?«
    Sie schaute ihn an, als läge die Antwort auf diese Frage auf der Hand.
    »Ich überziehe die Betten. Putze die Klos. Sauge Staub. Trotzdem besser als im Bónus-Billigmarkt zu arbeiten.«
    »Und die Leute?«
    »Der Hotelmanager ist ein Arsch.«
    »Kommt mir so vor wie ein Hydrant, der leckt«, sagte Erlendur.
    Ösp lächelte.
    »Und einige Gäste glauben, dass man hier arbeitet, damit sie einen betatschen können.«
    »Warum bist du in den Keller gegangen?«, fragte Erlendur. »Um den Weihnachtsmann zu holen. Die Kinder warteten auf ihn.«
    »Die Kinder?«
    »Auf der Weihnachtsfeier. Wir haben eine Weihnachtsfeier für die Hotelangestellten. Für ihre Kinder und auch für die Kinder von Hotelgästen, und er sollte den Weihnachtsmann spielen. Als er sich nicht blicken ließ, wurde ich losgeschickt, um ihn zu holen.«
    »Das muss sehr unangenehm gewesen sein.«
    »Ich habe noch nie eine Leiche gesehen. Und dann das Kondom …« Ösp versuchte, das Bild zu verdrängen.
    »Hatte er Freundinnen hier im Hotel?«
    »Nicht, dass ich wüsste.«
    »Weißt du, ob er mit anderen Personen außerhalb des Hotels in Verbindung stand?«
    »Ich weiß überhaupt nichts über diesen Mann, und ich hab mehr von ihm gesehen, wie mir lieb war.«
    »Als«, korrigierte Erlendur.
    »Was?«
    »Es heißt mehr als und nicht mehr wie.«
    Sie schaute ihn mitleidig an.
    »Findest du, dass das eine Rolle spielt?«
    »Ja«, sagte Erlendur.
    Sie schüttelte den Kopf und war mit ihren Gedanken weit weg.
    »Du weißt also nicht, ob er irgendwelchen Besuch hatte?«, fragte Erlendur, um das Thema Grammatik zu beenden. Im Geiste sah er ein Therapiecenter vor sich, wo deprimierte Als-Wie-Patienten in Bademänteln und Filzpantoffeln durch die Gänge schlurften und therapiert werden wollten.
    »Nein«, sagte Ösp.
    »Stand die Tür offen, als du kamst?«
    Ösp überlegte einen Augenblick.
    »Nein, ich hab sie aufgemacht. Ich hab angeklopft, und als keine Antwort kam und ich schon fast wieder gehen wollte, fiel mir ein, die Klinke auszuprobieren. Ich dachte eigentlich, dass abgeschlossen wäre, aber sie ging auf, und da saß er halb nackt und mit dem Kondom …«
    »Wieso hast du geglaubt, dass abgeschlossen wäre?«, beeilte sich Erlendur einzuwerfen.
    »Bloß so. Ich wusste, dass das sein Zimmer war.«
    »Bist du irgendjemandem begegnet, als du nach unten gingst?«
    »Nein, niemandem.«
    »Er war also eigentlich bereit für die Weihnachtsfeier, aber dann ist jemand gekommen und hat ihn abgelenkt. Er hatte ja schon das Weihnachtsmannkostüm an.«
    Ösp zuckte mit den Achseln.
    »Wer hat bei ihm die Bettwäsche gewechselt?«
    »Wie meinst du das?«
    »Die Bettwäsche. Die ist schon lange nicht mehr gewechselt worden.«
    »Ich weiß nicht. Bestimmt er selber.«
    »Es muss ein ziemlicher Schock für dich gewesen sein.«
    »Der Anblick war ekelhaft«, sagte Ösp.
    »Ich weiß«, sagte Erlendur. »Versuch irgendwie, das Ganze so schnell wie möglich zu vergessen. Wenn du kannst. War er gut als Weihnachtsmann?«
    Das Mädchen schaute ihn an.
    »War er?«
    »Ich glaube nicht an Weihnachtsmänner.«

    Die Frau, die die Weihnachtsfeier arrangiert hatte, war adrett gekleidet, klein und um die dreißig, vermutete Erlendur. Sie stellte sich als Marketing-und PR-Beauftragte des Hotels vor, und Erlendur hatte keine Lust, sie über ihren Job zu befragen; fast alle, die man heutzutage traf, waren irgendwas mit Marketing. Sie hatte ein Büro im Erdgeschoss, wo Erlendur sie am Telefon vorgefunden hatte. Die Medien hatten Witterung davon bekommen, dass in dem Hotel etwas nicht stimmte, und Erlendur vermutete, dass sein Gegenüber gerade dabei war, einem Journalisten irgendeine Geschichte aufzutischen. Das Gespräch endete sehr abrupt. Die Frau wimmelte den Anrufer ab und erklärte kategorisch, dass er sich auf keinen Fall auf sie beziehen dürfe.
    Erlendur nannte seinen

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